Kirchenbauwerke gehören in Mitteldeutschland zu fast jedem Ort. Im Alltag sind sie bekannt als Wahrzeichen, Ortsmittelpunkt oder Orientierungsmarke, sie haben architektonisch, kunsthistorisch und regionalgeschichtlich vielfältige Bedeutung. Doch die Zukunft vieler Kirchen ist bedroht: Dutzende von ihnen haben ihre Funktion verloren, einige sind bereits spurlos aus dem Ortsbild verschwunden. Zeit zur Erinnerung an verschwundene Kirchen – und was mit ihnen unwiderruflich verloren gegangen ist.

Wo sich der älteste Friedhof der Stadt Leipzig befand

Die Johanniskirche war das evangelische Gotteshaus in Leipzigs Ostvorstadt. Sie stand östlich der Innenstadt auf dem Johannisplatz und war dem Apostel Johannes geweiht. Im Jahr 1750 wurde auf dem zugehörigen Friedhof Johann Sebastian Bach begraben. Im Zweiten Weltkrieg brannte sie aus. Das Kirchenschiff wurde 1949 und der Kirchturm 1963 gesprengt.

Die Brüderschaft zur Pflege der Leprakranken erwarb im Jahr 1278 vier Morgen Land vor dem Grimmaischen Tor und baute eine Leprastation. Zu dieser Zeit entstand der Friedhof, der unter dem Namen Johannisfriedhof Leipzigs ältester Friedhof wurde. 1305 wurde die Johanniskapelle, die ursprünglich den Kranken vorbehalten war, erstmals urkundlich erwähnt.

Kriegsschäden und Wiederaufbau

1386 wurde die Pflegeeinrichtung als „Spital zu St. Johannis des Täufers vor dem Grimmaischen Tor unserer Stadt Leipzig gelegen“ erwähnt. 1536 legte der Rat der Stadt Leipzig auf Verordnung von Herzog Georg den Johannisfriedhof als alleinige Begräbnisstätte für die Bürger der Stadt fest. Die Kirche St. Johannis wurde im 14. Jahrhundert als Nachfolgerin einer älteren Kapelle des Johannishospitals errichtet.

1546/1547, im Schmalkaldischen Krieg, bezog Kurfürst Johann Friedrich Stellung auf dem Johannisplatz gegen die Stadt: Hospital und Kirche, zur Geschützstellung umgebaut, gerieten unter Beschuss und wurden beim Truppenrückzug teilzerstört. Nach dem Abbruch wurde das Gotteshaus von 1582 bis 1584 im spätgotischen Stil neu erbaut.

Im Dreißigjährigen Krieg 1618–1648 erlitt es Plünderungen und Brandschatzungen. 1670 erneuert, folgten 1680 der Neubau des Johannishospitals und seine Nutzung als städtisches Kranken- und Waisenhaus.

Anlegung des Johannisplatzes im 19. Jahrhundert

Ab 1742 schuf Johann Scheibe die 22-registrige Orgel, die 1744 Johann Sebastian Bach und Zacharias Hildebrandt prüften und einweihten. Scheibe hatte dort Pfeifen der zwei Jahre zuvor demontierten Schwalbennestorgel der Thomaskirche eingebaut.

Der Kirchturm entstand von 1746 bis 1749 nach dem Entwurf von George Werner (1682–1758) im Stil des Barock. Kirchenvorsteher Eberhard Heinrich Löhr (1725–1798) schuf 1779 die Schlaguhr des Kirchturms.

Während und nach der Völkerschlacht diente die Kirche als Lazarett, sie und der Friedhof wurden 1813 verwüstet. 1850 war der Johannisfriedhof an der Kirche voll, von da an wurde der Neue Johannisfriedhof (1846 eröffnet) genutzt und der Johannisplatz angelegt.

Am 10. November 1883 wurde das Reformations-Denkmal – das von Johann Schilling geschaffene Luther-Melanchthon-Denkmal – vor der Johanniskirche aufgestellt. 1891 wurde das Gotteshaus zur Parochialkirche. Ab1894 wurde es bis auf den Kirchturm abgetragen, die Scheibe-Orgel demontiert und eingelagert.

Leipzigs Architekt und Stadtbaurat Hugo Licht (1841–1923) gestaltete den neuen Sakralbau im Stil des Neobarock, der an Stelle des alten Kirchenschiffs entstand und für den er sich der barocken Formensprache des belassenen Johanniskirchturms bediente. Kirchweihe war am 28. März 1897.

Die kriegsgeschädigte Johanniskirche (1948). Foto: Renate und Roger Rössing, Sammlung Deutsche Fotothek, CC-BY-SA 3.0, Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Fotothek_df_roe-neg_0000238_005_Zerst%C3%B6rte_Johanniskirche.jpg
Die kriegsgeschädigte Johanniskirche (1948). Foto: Renate und Roger Rössing, Sammlung Deutsche Fotothek, CC-BY-SA 3.0, Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Fotothek_df_roe-neg_0000238_005_Zerst%C3%B6rte_Johanniskirche.jpg

Frommer Wunsch erfüllte sich nicht

Beim Bombenangriff auf Leipzig am 4. Dezember 1943 brannte das Gotteshaus aus. Wie wohl jede andere Kirchgemeinde mit demselben Schicksal wünschten sich die Christen dort ein Wiedererstehen ihrer Kirche. Es blieb ein frommer Wunsch: Die Stadtverwaltung Leipzig ließ das Kirchenschiff am 19. Februar 1949 sprengen.

Die Kirche diente Generationen von Leipzigern regelmäßig zur Andacht sowie zu Ostern, Pfingsten und Weihnachten als Ort festlicher Begegnung. Sie war vertraute, heimatliche Feierstätte für Taufe, Konfirmation und Trauung, für Silberne sowie Goldene Hochzeit und andere Jubiläen, für den Heimgang ihrer Verstorbenen. Sie war Platz der Gemeinsamkeit für Einkehr und Hoffnung, für Zuversicht und Freude, für Trauer und Leid.

Der gemauerte Teil des Kirchturms war erhalten geblieben, er wurde 1956 saniert. 1950 gab es einen landesweiten Architekturwettbewerb zur Gestaltung des Johannisplatzes: Die Sieger-Entwürfe bezogen sich auf den zu restaurierenden Johanniskirchturm.

Doch trotz des Gestaltungswettbewerbs zur Erhaltung des Turms und trotz des vielfachen Engagements der Bürgerschaft und des Denkmalschutzes: Auf Initiative der SED beschloss Leipzigs Stadtverordneten-Versammlung den Abriss. Der Kirchturm wurde am 9. Mai 1963 gesprengt.

Erinnerung an das Kirchenbauwerk

Die Johannisgemeinde, nun ohne eigene Kirche, wurde von der Nikolaigemeinde aufgenommen.
Am 15. März 2003 gründete sich der Bürgerverein Johanniskirchturm e. V. mit dem Ziel, den Kirchturm am historischen Standort wiederaufzubauen. Am 4. Dezember 2013 wurde auf Initiative des Vereins ein Holzkreuz auf dem Johannisplatz errichtet – zur Erinnerung an die Bombennacht und an die Sprengung des Kirchturms.

Mahnung und Erinnerung: Das Holzkreuz vor dem Grassimuseum. Foto: Frank Vincentz, GFDL, Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Leipzig_-_Johannisplatz_%2B_Erinnerungskreuz_%2B_Grassimuseum_01_ies.jpg
Mahnung und Erinnerung: Das Holzkreuz vor dem Grassimuseum. Foto: Frank Vincentz, GFDL, Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Leipzig_-_Johannisplatz_%2B_Erinnerungskreuz_%2B_Grassimuseum_01_ies.jpg

Im November 2014 wurde die nach wie vor bestehende Bach-Gellert-Ehrengruft freigelegt, untersucht und wieder geschlossen. Am Standort der Johanniskirche, dem Johannisplatz, gibt es eine Rasenfläche – es ist die große, trapezförmige Fläche direkt vor dem Grassi-Museum.

Koordinaten: 51° 20′ 16″ N, 12° 23′ 11,2″ O

Johanniskirche Leipzig: Die Grabstätten von Bach und Gellert

Thomaskantor Johann Sebastian Bach, verstorben am 28. Juli 1750, wurde am 31. Juli 1750 an der Johanniskirche beerdigt. Aus heutiger Sicht unverständlich: Sein Grab war ohne Schmuck und ohne Kennzeichnung. Bald war er – wie auch seine Kompositionen für eine gewisse Zeit – vergessen.

Der zu seiner Zeit sehr populäre Dichter Christian Fürchtegott Gellert wurde im Dezember 1769 am östlichen Rand der 1. Abteilung des Alten Johannisfriedhofs beigesetzt.

Bach-Gellert-Ehrengruft, Johanneskirche Leipzig (Foto von 1930, gemeinfrei).
Bach-Gellert-Ehrengruft, Johanneskirche Leipzig (Foto von 1930, gemeinfrei).

Bachs Grab lag damaligen Quellen zufolge „sechs Schritte geradeaus von der Thüre an der Südseite der Kirche“. Beim Abbruch der Südwand des Kirchenschiffs am 22. Oktober 1894 wurden seine Gebeine exhumiert.

Seine und Gellerts Überreste wurden am 16. Juli 1900 – Leipzig hatte inzwischen die Bedeutung des Komponisten und des Dichters wiederentdeckt – in der eigens geschaffenen Ehrengruft unter dem Altar der Johanneskirche in Marmor-Sarkophagen feierlich beigesetzt. Die Johanniskirche galt von da an als Pilgerstätte für die zahlreichen Bach- und Gellert-Verehrer.

Am 28. Juli 1949 wurden Bachs Gebeine in die nahe gelegene Thomaskirche gebracht, wo sie im würdevollen Ehrengrab ruhen.

Gellerts Gebeine kamen in die Universitätskirche (Paulinerkirche) – bis diese im Jahr 1968 gesprengt wurde.

https://de.wikipedia.org/wiki/Johanniskirche_(Leipzig)
https://www.leipzig-lexikon.de/KIRCHEN/JOHANNIS.HTM
http://www.johanniskirchturmverein.de

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