Neue Runde, neues Glück: In der Halle D des Werk 2 ging es am gestrigen Dienstagabend einmal mehr auf dem Podium „Kulturkollaps“ um die Zukunft kultureller Einrichtungen, Spielstätten, Ensembles und Initiativen. Dieses Mal nahmen unter dem Titel „Kulturpolitischer Förderbetrieb – Freie Szene und Kulturwirtschaft“ zwei Intendanten auf dem Podium Platz.

Zum einen war Tobias Wolff, der seit August 2022 Intendant der Leipziger Oper ist, zum anderen der Kölner Reiner Michalke, Jazz-Manager und Intendant der Monheim Triennale, zu Gast. Die Moderation übernahm erneut Prof. Michael Kaufmann, Kulturmanager und selbst jahrelang Leiter renommierter Kulturinstitutionen und Veranstaltungshäuser, wie der Philharmonie Essen und der Deutschen Staatsphilharmonie.

Wie schon beim ersten Podium im Felsenkeller, am 21. November letzten Jahres, waren zwei Gäste geladen, deren grundverschiedener Wirkungsbereich eine angeregte Diskussion versprach. Auf der einen Seite Wolff, Repräsentant eines institutionell geförderten Kulturbetriebs – der Oper, dem Stolz der deutschen Hochkultur. Auf der anderen Seite Michalke, der seit Jahrzehnten Teil der Freien Kulturszene ist und für deren Förderung und Anerkennung kämpft.

Hat die Oper ausgedient?

Letzterer kleidete seine persönliche Einstellung zur Oper zunächst in trockene Zahlen: „In Deutschland gibt es 87 Opernhäuser mit eigenem Spielbetrieb, das sind mehr als es insgesamt im Rest der Welt gibt.“ Wohlbemerkt gäbe es in manchen Großstädten gleich mehrere Opernhäuser, man müsse beispielsweise nur nach Berlin schauen, wo die Staatsoper, die Komische Oper und die Deutsche Oper nebeneinander existieren.

Wieder einmal standen die Fragen im Raum: Wieso sind die Oper und damit Werke, die aus längst vergangenen Jahrhunderten stammen, institutionell förderwürdige Kultureinrichtungen? Wie hoch ist der Anteil der Bevölkerung, den es regelmäßig in die Oper zieht und inwieweit kann jede und jeder, die oder der es möchte, an diesem Teil des kulturellen Erbes Deutschlands überhaupt teilhaben? Schließlich sitzt das Geld für einen Platz auf rotem Samt nicht allen so locker im Portemonnaie.

„Natürlich müssen wir immer wieder diskutieren, wofür wir als Gesellschaft zukünftig unser Geld ausgeben wollen“, stimmte Wolff seinem Gesprächspartner zu und betonte gleichzeitig, dass für eine Entscheidung dieser Art auch mehr Geld und Arbeit im Bereich kultureller Bildung notwendig sei. „Die vermeintliche Kulturkrise ist auch eine Krise der Bildung, nicht zuletzt Teil der Demokratiekrise.“

Immer wieder habe er in der Vergangenheit beobachten können, dass im ländlichen Bereich oftmals die städtisch geförderte als einzige Kultureinrichtung übrig blieb. „Wir wissen, dass in den Städten, in welchen die Kultur weiter gefördert und aufrechterhalten wird, die Anfälligkeit der Demokratie geringer ist.“

Auch sehe er ganz klar den Anteil der Leipziger Oper auf dem großen „Pflichtfeld“ der Barrierefreiheit und der Teilhabe: Inzwischen gibt es im Programm des Hauses unter anderem Konzerte für Demenzkranke, für Babies sowie für Schulgruppen. Auch Aspekte wie Nachhaltigkeit, Diversität und Digitalisierung spielten in der Oper eine tragende Rolle. Bereiche, über die nachzudenken man in der Freien Szene aufgrund von Publikumsschwund und horrenden Energiepreisen weniger Ruhe hat. „Es geht darum, zu überleben“, so Jörg Folta vom Leipziger Felsenkeller. Zwei Ausgangspunkte, die unterschiedlicher kaum sein könnten.

„Die Lösung des Problems könnte sein, Häuser auszustatten mit Basics, um überhaupt zu überleben.“ Wo auch Intendant Wolff einhakte: „Wir brauchen eine nationale Förderkampagne für die Sanierung von Spielstätten.“

Cooperation for the win?

Was sowohl Wolff als auch Michalke betonten – und was auch Leipzigs Kulturbürgermeisterin Skadi Jennicke (Die Linke) bereits im November herauskristallisierte: wie wichtig es sei, gemeinsam und zusammenzuarbeiten, Kooperationen zu bilden. „Ich wünsche mir, dass die großen Häuser uns, der Freien Szene, dabei helfen, ihren Status zu erhalten“, so Michalke. „Wir kommen gerade aus einer guten Phase heraus, ich meine damit die letzten zehn Jahre. Auch in der Coronakrise hat uns der Staat auf vielen Ebenen sehr gut versorgt. Wir haben aufgeholt, das gilt es zu verteidigen.“

Man müsse die Kultur in ihrer Gesamtheit vor allem herausholen aus der Freiwilligkeit. „Wir haben den Auftrag, die Kultur zu schützen vor dem Zugriff einer höher gestellten Institutionalisierung – über die Möglichkeiten, die wir haben, möglicherweise Landes- und Kommunalgesetze.“ Dafür mit Erfolg zu kämpfen, funktioniere nur gemeinsam.

Der große Kuchen, der kleine Kuchen, kann der Kuchen größer werden?

Schlussendlich geht es darum, wie viel Geld bereitgestellt wird für die Kultur. Dass kommunale und landesweite Haushalte in Schieflage geraten würden, sei absehbar, so Michalke. „Wenn dann noch das Soziale gegen die Kultur ausgespielt wird, sieht es ganz böse aus. Die Frage ist, in welchen Bereichen dann gekürzt wird. Es liegt nahe, darüber nachzudenken, welchen Wert Kultur in Deutschland hat.“

Dabei sieht es in Leipzig noch recht rosig aus: Rund sieben Prozent des städtischen Kulturetats, etwa 10,7 Millionen Euro, fließen derzeit in den Freien kulturellen Sektor. Eine Zahl, die den Kölner dann doch erstaunte, sind es im Gegensatz dazu in seiner Wohnstätte doch nur 3,5 Prozent.

Dennoch sei im gleichen Zug zu betonen, dass gut 50 Prozent des kulturellen Etats im städtischen Haushalt in die Leipziger Oper fließen würden, kam es vonseiten Peter Matzkes, Chef des Krystallpalasts. „Die Oper bildet nicht die reale Gesellschaft ab. Und wenn die Hälfte des städtischen Budgets für die Aufführung von Richard Wagner, der für Diversität ja nun wirklich nicht steht, ausgegeben wird, können wir nicht von Teilhabe der Mehrheit unserer Bevölkerung sprechen.“

Dass Kürzungen im kulturellen Bereich nicht zu vermeiden seien, konnten einige Gäste im Publikum nicht einfach stehen lassen. Eine Mitarbeiterin der Stadt Leipzig im Bereich Kulturförderung erinnerte sich: „In den Neunzigern war gerade die Schließung der Musikalischen Komödie das Thema. Später stand die Schließung des Naturkundemuseums auf der Tagesordnung. Beide Einrichtungen bestehen noch immer, weil die Bürger der Stadt sich für ‚ihre‘ Betriebe eingesetzt haben.“

Für sie stand weiterhin fest: „Ich glaube daran, dass sich Kultur gegenseitig stärken kann. Man sollte nicht über Krümel streiten, sondern gemeinsam diesen Kuchen tragen und gemeinsam damit leben. Ja, es wird Kürzungen geben, aber muss es sie in der Kultur geben?“

„Es bringt nichts, diese Punkte gegeneinander auszuspielen“, pflichtete auch der Leiter des Stadtgeschichtlichen Museums, Dr. Anselm Hartinger, bei. Er brachte einen weiteren interessanten Aspekt hinsichtlich der Bewertung nach Förderungswürdigkeit ins Spiel: „Wir haben sehr unterschiedliche Aufgaben. Vielleicht übernehmen die institutionell geförderten Häuser zum Teil ‚Pflichtaufgaben‘, die in der Freien Szene vielleicht niemand wahrnehmen möchte. Im Museum beispielsweise geht es ganz viel darum, Dinge für die Zukunft zu bewahren, Erinnerungskultur aufrechtzuerhalten.“

Ob auch die Oper zu diesem unvermeidlichen Bereich der erhaltungswürdigen Kultur gehört, konnte an diesem Abend im Leipziger Süden natürlich nicht geklärt werden. Und sicher wird diese Frage auch in Zukunft nicht eindeutig zu beantworten sein. Einigung brachte das Podium jedoch darin, dass der Kuchen erhalten und im besten Falle vergrößert werden müsste.

„Die Stadt wird größer, die Bevölkerung wächst – warum nicht auch das Budget für Kultur?“, so Wolff. Er brachte eine weitere Schwachstelle auf den Punkt, der ebenfalls allseitige Zustimmung fand: „Wir haben in der Kultur bisher zu wenige politische Forderungen gestellt. Wir müssten wohl genauso Lobby-Arbeit betreiben, wie beispielsweise die Autoindustrie.“

Nächstes Podium am 31. Januar

Dieser und viele weitere Punkte wurden anschließend an der Bartheke der Halle D weiter diskutiert. Schon in der nächsten Woche, am 31. Januar, findet im Neuen Schauspiel das dritte Podium der Reihe „Kulturkollaps“ statt. Dann werden der Kulturhistoriker Prof. Dr. Dr. Matthias Theodor Vogt, sowie der Kulturmanager und Autor Fabian Burstein auf der Bühne Platz nehmen. Der Eintritt ist frei, Beginn ist 19 Uhr.

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