Es ist ein schockierender Fall von unfassbarer Tragik: Ein 78 Jahre alter Mann aus Oschatz steht seit Dienstag vor dem Landgericht Leipzig, da er laut Staatsanwaltschaft seine Ehefrau zu töten versuchte. Die Behörde geht allerdings davon aus, dass der Rentner wegen einer Demenzerkrankung nicht für sein Handeln verantwortlich gemacht werden kann. Sollte dies so sein, müsste er womöglich für den Rest seines Lebens in ein psychiatrisches Krankenhaus.
Weiß er, was mit ihm geschieht und worum es geht? In Begleitung von Pflegern der psychiatrischen Klinik Altscherbitz, wo er aktuell untergebracht ist, schlurft Dieter G. (Name geändert) an diesem Dienstagmorgen in den Saal 115 des Leipziger Landgerichts, setzt sich neben seinen Verteidiger Christian Friedrich.
Anklagebehörde geht von Schuldunfähigkeit aus
Ermittlungen zufolge soll der 78 Jahre alte Rentner am 19. November 2024 versucht haben, seine knapp fünf Jahre jüngere Ehefrau Paula (Name geändert) im gemeinsam bewohnten Anwesen in Oschatz zu töten: Während sie gegen 20:30 Uhr arglos auf der Couch lag und sich eine TV-Sendung ansah, habe Dieter G. seine Gattin unvermittelt von hinten unter anderem massiv mit einem Schal stranguliert, ehe sie sich nach heftiger Gegenwehr glücklicherweise befreien und flüchten konnte.
Allerdings habe der demenzkranke Mann im Zustand der Schuldunfähigkeit gehandelt, sagt Staatsanwalt Torsten Naumann, der von einem Mordversuch in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung ausgeht: Dieter G. könne aufgrund seiner Krankheit nicht bestraft werden, soll daher im Rahmen eines Sicherungsverfahrens künftig in einer psychiatrischen Einrichtung unterkommen statt im Gefängnis.
Der schwerhörige Mann bekam seine Demenz-Diagnose im Herbst 2024 gestellt, kurz vor der verhandelten Gewalttat. Im Gerichtssaal verliert der ehemalige Schlosser nur wenige Worte zu dem, was er getan haben soll, scheint sich kaum erinnern zu können. Über weite Strecken ist das Murmeln kaum zu verstehen, immer wieder muss sein Anwalt Christian Friedrich die Nachfragen von der Richterbank für ihn wiederholen. „Ich wollte meine Frau nicht töten“, stammelt der Rentner einmal leise. Ob er überhaupt die Tragweite dessen realisiert, worum es hier geht, bleibt ungeklärt.
Unvermittelter Angriff auf Ehefrau
Kurz darauf wird die Geschädigte Paula G. in den Zeugenstand gebeten, sitzt jetzt nur wenige Meter neben dem Mann, der versucht haben soll, ihr Leben zu beenden. Beide waren zum Tatzeitpunkt 35 Jahre verheiratet, sie hat schon Kinder aus einer früheren Beziehung, er einen Sohn. Gemeinsame Kinder gibt es nicht.
Gefasst schildert Paula G., wie sie den Tag erlebte. Eigentlich sei alles wie immer verlaufen: Aufstehen, Frühstück, den Mann anziehen, Blutdruck messen, Mittagsmahl. Dann kam Besuch zum Kaffee vorbei, sagt die 74-jährige Paula G. aus. Erst am Abend bemerkte sie die Unruhe ihres Mannes.
Während sie es sich auf dem Sofa bequem gemacht hatte und fernsah, habe er ohne Vorwarnung und wortlos begonnen, sie mit den Enden des Schales um ihren Hals hinterrücks heftig zu würgen, dann mit ihrem Halstuch, so stark, dass sie zeitweise keine Luft mehr bekam.
Opfer bis heute in psychologischer Betreuung
Irgendwann sei es ihr gelungen, ihrem Gatten im Gerangel ein Messer aus dessen Hosentasche zu entwenden und wegzuwerfen, wodurch er abgelenkt war. Sie habe sich befreit, er sei ihr nachgesetzt, sie rief durch ein offenes Fenster um Hilfe, so Paula G.: „Aber weil das Wetter so schlecht war, war ja keiner zu sehen auf der Straße.“
Am Ende glückte der gelernten Laborantin die Flucht ins Freie, sie schloss die Haustür in Panik ab und rettete sich zu Nachbarn, die den Notruf wählten. Die damals 73-jährige Frau trug Würgemale, Rötungen und Abschürfungen davon, musste wochenlang ins Krankenhaus. Gut gehe es ihr nicht, sagt die Rentnerin auf Nachfrage der Vorsitzenden Richterin Antje Schiller, sie nehme psychologische Unterstützung in Anspruch. Zu ihrem Mann habe sie keinen Kontakt mehr.
„Er hat sie mächtig tyrannisiert“
Am Ende war er für Paula G. schwierig, erzählt sie, da die tückische Demenz sein Wesen stark veränderte. Den Befund und auch andere Krankheiten habe Dieter G. nicht akzeptiert, sich ärztlichen Untersuchungen renitent verweigert, angeblich sogar einmal eine Krankenschwester bedroht und Paula G. gefragt, wo im gemeinsamen Haushalt die Beile sind.
Auch sei sie von ihm beschimpft und mit üblen Vorwürfen bombardiert worden. Physische Gewalttätigkeit habe es in der Ehe aber nie gegeben, im Gegenteil sei lange alles harmonisch gewesen, auch in früheren Tagen, als beide noch erwerbstätig waren. Das Paar wurde in der Nachwendezeit wie so viele arbeitslos, begann dann beruflich noch einmal neu. Dieter G. war bis zur Verrentung vor elf Jahren zeitweilig auf Montage, blieb auch im Ruhestand aktiv.
Ende November 2024 war seine Begutachtung für eine Pflegestufe geplant – dazu sollte es wegen der Tat nicht mehr kommen. „Er hat sie mächtig tyrannisiert“, meint eine Person aus dem Umfeld des Ehepaares mit Blick auf die letzte Zeit. Paula G. habe sich dennoch ohne Klagen um Arzt- und Behördentermine gekümmert, nie ein schlechtes Wort über ihren Mann verloren.
Für das Verfahren am Landgericht sind drei weitere Verhandlungstage angesetzt.
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