Demokratie ist auch manchmal, dass die Dringlichkeit von Veränderungen nicht wahrgenommen wird. Dass der Leipziger Auwald stirbt, weil ihm seit 100 Jahren das Wasser fehlt, ist mittlerweile Konsens. Genauso, dass man das dringend ändern muss. Aber das Denken, man hätte dafür noch Zeit, ist in der Verwaltung durchaus noch fest verankert. Davon zeugte die Stellungnahme zum Grünen-Antrag, die intensive Landwirtschaft in der Nordwestaue schleunigst zu beenden.

Was man natürlich nicht mit Ukas macht, sondern man redet erst einmal mit den Pächtern der landwirtschaftlichen Flächen. Die haben natürlich ein Recht darauf, frühzeitig mitgenommen zu werden und mit der Stadt gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Das stand so auch im Antrag der Grünen.Weshalb die Stadtverwaltung mit dem Grünen-Antrag auch beauftragt werden sollte: „im Rahmen des Auenentwicklungskonzepts zu prüfen, wie die bestehenden landwirtschaftlichen Nutzflächen in der Nordwestaue entwickelt werden können, um sich in das Ökosystem Auwald, z. B. als charakteristische Offenflächen und Grasland einzufügen“.

Und „bereits jetzt hinsichtlich der vorhandenen landwirtschaftlichen Nutzflächen frühzeitige Gespräche mit den Eigentümern der entsprechenden Flächen aufzunehmen und gemeinsam mit diesen geeignete Handlungsoptionen zu entwickeln, die eine intensive Landwirtschaft künftig ausschließen und eine Eingliederung der Flächen in das Auenentwicklungskonzept ermöglichen. Bis zum 4. Quartal 2021 legt die Stadt den zuständigen Ausschüssen die Ergebnisse vor.“

Gespräche nicht erst 2023

Für eine Stadtverwaltung natürlich ein ganz schön schnelles Tempo. Aber nur, wenn man nicht sieht, dass der Antrag schon eine Weile vorliegt und das Amt für Stadtgrün und Gewässer auch schon eine Stellungnahme geschrieben hat. Die aber eben leider aus Vertröstungen besteht. Obwohl man zugesteht, dass man ja eigentlich vom Stadtrat schon einen Handlungsauftrag hat. „Aktuell erarbeitet das Liegenschaftsamt entsprechend dem Beschluss vom 22.01.2020 Vorlage VI-A-07003 an einem Landwirtschaftskonzept, in dem ebenso die Landwirtschaft in Auen berücksichtigt wird“, kann man da zum Beispiel lesen.

Aber gleichzeitig tut das Amt so, als könne man wieder wirtschaftliche Interessen über die zwingenden Naturschutzinteressen stellen. Die gesteht das Amt zwar zu, wenn es meint: „Neben dem Landschaftsplan (1998) nimmt bereits die erste Agrarstrukturelle Entwicklungsplanung Leipzigs (1998) eingehend Bezug auf das Biotopmosaik der Nordwestaue mit Aussagen zu Entwicklungszielen zur Sicherung von Grünlandnutzungen, Extensivierung von Wiesen- und Waldnutzungen etc. auf dafür geeigneten Flächen.“

Nur ist von diesen Plänen aus dem Jahr 1998 nichts umgesetzt. Man hat einfach so getan, als könnte die intensive Landwirtschaft einfach so weitergehen, solange niemand „von oben“ sich beschwert.

Also änderte man auch die Verträge mit den Pächtern nicht und hat auf einmal Zeitnot, wie das Amt ebenfalls zugesteht: „Bei Landwirtschaftsflächen im Privateigentum müssen frühzeitige Gespräche mit den Grundstückseigentümern aufgenommen werden, wobei diese wiederum durch vertragliche Beziehungen, z. B. Landpachtverträge nicht im Besitz der Flächen und damit in deren Verfügung sein können.“

Frühzeitig?

Das hätte bedeutet: ab 1998. Das ist aber nicht passiert, weil im Amt für Stadtgrün und Gewässer das wirtschaftliche Interesse an guten Böden bis heute überwiegt gegenüber dem Schutz der Aue.

Klarer als hier kann man es nicht formulieren: „Mit der unter Punkt 1 beschriebenen Zielsetzung wird deutlich, dass zukünftig die derzeit landwirtschaftlich intensiv genutzten Bereiche im Natura2000 geschützten Gebiet in Richtung auentypischer, extensiver Grünlandnutzung (Wiesen) zu entwickeln sein werden. Die Umgestaltung in eine extensive Bewirtschaftung ist nur zusammen mit den Eigentümern und Bewirtschaftern (Pächter) umsetzbar. Die Böden in der Nordwestaue gehören zu den ertragreichsten Böden Leipzigs. Hochwertige Ackerflächen zu charakteristischen Offenlandflächen und extensivem Grünland zu entwickeln stellt ein Konfliktfeld dar, denn die landwirtschaftlichen Betriebe stehen vor der Herausforderung der Wirtschaftlichkeit und gleichzeitig der anhaltenden Flächeninanspruchnahme für Siedlungs- und Verkehrszwecke. Daher sind Auszahlungsansprüche, Ausgleichzahlungen, Fördermittel und Kompensationsangebote ein wesentlicher Aspekt, um Eigentümer von der Umstellung in eine extensive Nutzung zu überzeugen.“

Was eben auch heißt, dass die verspäteten Gespräche jetzt auch noch teuer werden können.

Vertrösten auf das Auenentwicklungskonzept?

Denn natürlich drängt die Zeit auch ohne den Grünen-Antrag. Auch das gesteht das Amt für Stadtgrün und Gewässer zu: „Das integrierte, gesamträumliche Auenentwicklungskonzept für die Leipziger Nordwestaue wird bis Ende des Jahres 2022 erarbeitet. Die Festlegung auf ein vorläufiges Entwicklungsziel ist im III. Quartal 2021 geplant und bildet die Grundlage für Gespräche mit Akteuren wie beispielsweise Landwirten. Bis Ende des I. Quartals 2022 sind Gespräche mit relevanten Akteuren vorgesehen. Darauf aufbauend wird das abschließende Entwicklungsziel entworfen und mit der Erstellung des Handlungsprogramms mit konkreten Maßnahmenvorschlägen begonnen.“

Was eben auch heißt: Im Auenentwicklungskonzept kann es keine intensive Landwirtschaft mehr geben. Sie ist mit dem Schutzziel der Aue schlicht nicht vereinbar, wie auch Grünen-Stadtrat Jürgen Kasek am 13. Oktober betonte. 2022 oder 2023 muss die Stadt also zwingend auf eine Veränderung der Pachtverträge drängen. Da sei es schlicht Unfug, bis dahin zu warten, so Kasek. Man sollte und muss jetzt mit den Pächtern reden.

Die CDU hat dann noch eine Änderung beantragt, weil ihr die Vorgaben der Grünen zu konkret waren. Aber der Änderungsantrag der CDU fand mit 18 : 35 Stimmen keine Mehrheit. Es fand sich freilich auch niemand, der die ausweichende Stellungnahme der Verwaltung zur Abstimmung stellte, was eben auch zeigt, dass die Stadtratsmehrheit sehr wohl sieht, dass es beim Umgang mit der Nordwestaue keine Zeit mehr zu verplempern gilt.

Der Grünen-Antrag fand dann ziemlich bald seine Mehrheit mit 35 : 15 Stimmen und zwei Enthaltungen.

Die Debatte vom 13. Oktober 2021 im Stadtrat

Video: Livestream der Stadt Leipzig

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