Neu zu denken ist unheimlich schwer, wenn Ingenieure in ihrem Studium etwas völlig anderes gelernt und seit Jahrzehnten Straßen stets nur nach Schema F gebaut haben. Straßen, in denen Radfahrer und Fußgänger in der Regel den Platz bekommen, der am Ende übrig bleibt, wenn alles für den Kfz-Verkehr standardmäßig aufgemalt ist. Eine solche alte Planungstradition kam auch am Adler wieder zur Anwendung. In der Linksfraktion schüttelt man darüber nur noch den Kopf.

Was da schiefgelaufen ist, stellt die Stadt sogar selbst fest in ihrer Stellungnahme zu einer Petition, die dringend die Anlage von Radwegen in der Antonienstraße forderte: „In Leipzig ist es das Ziel und gängige Verwaltungspraxis von Straßenplanungen und der Gestaltung ihres Querschnitts, dass die Verkehrsanlage allen Verkehrsarten gerecht wird und sie den städtebaulichen Randbedingungen und dem aktuellen Stand des Regelwerkes bzw. den gesetzlichen Vorgaben entspricht. Bei Straßenbaumaßnahmen wird dabei grundsätzlich auch die Möglichkeit der Radverkehrsförderung geprüft und wo möglich realisiert.“

Die Stellungnahme der Stadt zur Petition „Gerechte Verkehrsraumaufteilung in Leipzig“.

Das Problem ist dieses Wörtchen „wo möglich“. Denn wenn die Planer meinen, es sei nicht möglich, etwa weil die Leistungsfähigkeit der Straße dadurch eingeschränkt würde, passiert es einfach nicht. Dann gibt es – wie in diesem Fall – nur mal Tempo 30, damit die „mitschwimmenden“ Radfahrer nicht über den Haufen gefahren werden.

So ist der Adler nicht zukunftsfähig

Am 14. Juni war das Problem Thema im Stadtrat – die Linksfraktion hatte sich gemeldet und beantragt, dann wenigstens Vignetten auf die Fahrbahn zu bringen, wenn die Stadt in ihrer Stellungnahme zur Petition von Ariane Korn schon mit der Ausrede vorstellig wird, ihr Anliegen sei schon berücksichtigt mit einem Stadtratsbeschluss von 2020. Der behandelte damals ebenfalls einen Antrag der Linksfraktion – zur Anlage von Radwegen auf der Antonienstraße.

Der Stadtratsbeschluss zu Radwegen in der Antonienstraße von 2020.

Umgesetzt ist davon aber nichts. Was die Linksfraktion nun nach Fertigstellung des Adlers ziemlich ratlos macht: „Derzeit befindet sich die Petition einer Leipziger Bürgerin im Ratsverfahren, in welcher diese die Umgestaltung der Verkehrsführung im Bereich der Tangente Antonienstraße über den Adler und den Schleußiger Weg fordert. Dort wurden im Rahmen der Komplexmaßnahme in den letzten zwei Jahren die Bahngleise und Autofahrspuren erneuert. Gesondert ausgezeichnete Radfahrstreifen sucht man allerdings vergeblich.“

Dabei hatte die Linksfraktion im Oktober 2020 extra einen Antrag für eine zusammenhängende Radverkehrsanlage auf der Antonienstraße/Rödelstraße/Schleußiger Weg eingereicht, der am 12. November desselben Jahres vom Leipziger Stadtrat auch unverändert beschlossen wurde.

Darin stand eindeutig: „Der Oberbürgermeister wird beauftragt, zusammenhängende Radverkehrsanlagen auf der Antonienstraße/Rödelstraße/Schleußiger Weg herzustellen. Alle Baumaßnahmen im Fahrbahnbereich sollen der Innerörtlichen Radverkehrsverbindung – Stufe III (vgl. VI-Ifo-08223) Rechnung tragen und im fertigen Zustand den Radverkehr sicher auf der Fahrbahn über die Knoten führen.“

Auf dem Papier gibt’s einen Radweg

Die Baumaßnahmen am Adler begannen im Mai 2021. Umso mehr zeigt sich die Fraktion Die Linke verwundert über die Stellungnahme der Verwaltung zur Petition, in welcher sie angibt, dass der Sachverhalt durch ebenjenen Antrag berücksichtigt sei.

„Auf dem Papier ist die Radspur beschlossene Sache, in der Praxis stellt der Straßenabschnitt auf einer der wichtigsten Verbindungen zwischen dem Leipziger Südwesten und Süden noch immer eine große Gefahrenquelle für Radfahrende dar“, merkt dazu Mathias Weber, Stadtrat aus dem Leipziger Südwesten, an.

„Wir begrüßen die Intention der Petition ausdrücklich. Die jetzige Verkehrsraumaufteilung stellt für uns nur eine Übergangslösung dar. Der Radverkehr benötigt entlang der Antonienstraße, Rödelstraße und dem Schleußiger Weg dringend qualitative Radverkehrsanlagen.“

Mit dem am 14. Juni beschlossenen Antrag sollen ja jetzt wenigstens Vignetten für die Radfahrer in der Antonienstraße geprüft werden.

Aber das ganze Vorgehen zeuge eben nicht davon, dass die Stadt eine Mobilitätswende wirklich ernst nehme, findet Franziska Riekewald, Sprecherin für Mobilität der Linksfraktion: „Die Frage ist, wann wir endlich zu einer Gestaltung, die Rad und ÖPNV gerecht wird, kommen. Seit Jahren drängen wir ebenfalls auf die Einführung einer Straßenbahntrasse – der Südsehne. Die Petition ist ein weiteres Beispiel dafür, wie dringend wir endlich in die Umsetzung kommen müssen. Die Verwaltung arbeitet hier mal wieder im Schneckentempo.

Noch immer werden nachhaltige Verkehrsmittel nicht konsequent mitgedacht. Auf diese Art und Weise kann die dringend notwendige Mobilitätswende nicht gelingen. Mit der Nichtumsetzung unseres Antrags wurde eine Gelegenheit vertan, den Verkehrsraum gerecht aufzuteilen und alternative Formen der Mobilität zu fördern.“

In der Begründung der Stadt, warum man Radwege geradezu für unmöglich hält, liest sich das so: „Die Einordnung von Radverkehrsanlagen ist im Bestand aufgrund der örtlichen Verhältnisse in diesem speziellen Einzelfall leider nicht möglich. Aktuelle Untersuchungen haben erneut bestätigt, dass eine Leistungsfähigkeitseinschränkung für den Kfz-Verkehr zu einem weitreichenden Stau und zu massiven Behinderungen des ÖPNV (Bus und Straßenbahn) und damit zu einer Verschlechterung der Verkehrsbedingungen für den Umweltverbund insgesamt führen würde.“

Abhilfe könne nur ein Umbau der Straße mit neuem Straßenquerschnitt im Rahmen einer Komplexmaßnahme schaffen, der zeitlich und finanziell noch einzuordnen sei, erklärte die Stadt. Was natürlich heißt, dass hier vor 2030 gar nichts passieren wird. Dann wohl mit dem Projekt „Südsehne“: „Eine finale Entscheidung und Realisierung von Radverkehrsanlagen muss im Zusammenhang mit der Konkretisierung dieser aus dem Beschluss zum Start der Netzerweiterung Straßenbahn resultierenden Planung erfolgen.“

Was eben trotzdem nicht erklärt, warum man am Adler nicht schon einmal angefangen hat, bessere Strukturen für Radfahrer zu schaffen. Aber ganz offensichtlich spielte das bei den Planungen überhaupt keine Rolle.

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Es gibt 2 Kommentare

Zumindest vom Adler (Schauburg) bis zur Zeigner- Allee hätte man Radverkehrsanlagen + 1 KfZ- Spur anlegen können. In dem Bereich hätte man die Straßenbahn mittels intelligenter Ampelschaltung in beide Richtungen zum Pulkführer machen können. Richtung Osten geht es künftig eh nur einspurig durch die Rödelstraße (vielleicht liese sich her eine Spur für Radfahrer und Bus einrichten, das kurze Stück sollte dies verkraften), Richtung Westen müssen die KfZ sowieso an der Haltestelle hinter der Straßenbahn warten. Problematisch ist aufgrund der Enge in der Tat das Stück zwischen Antonienbrücke und Schauburg. Oder man würde es vielleicht mal schaffen, durchgängige echte Radrouten abseits der KfZ- Magistralen zu konzeptionieren und zu bauen. In diesem Fall würde sich vielleicht eine Route Oeserstr./Holbeinstr./Limburger Str. einrichten lassen…

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