Was in der politischen Diskussion in Deutschland derzeit völlig falsch läuft, das machte in dieser Woche einmal mehr die sächsische CDU deutlich, die augenscheinlich das Wort „Entsetzen“ für sich entdeckt hat. Dabei hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Mittwoch, dem 15. November, ein Zukunftsprojekt vorgestellt, das ein wesentlicher Baustein der deutschen Energiezukunft sein wird: ein – in der ersten Ausbaustufe – 9.700 Kilometer langes Wasserstoffnetz für die Bundesrepublik.

Dass das erst die erste Ausbaustufe sein wird, betonte die Meldung seines Ministeriums ebenfalls: „Der heute vorgelegte Antragsentwurf der Fernleitungsnetzbetreiber, durch den deutschlandweit wesentliche Wasserstoff-Standorte angebunden werden sollen, bildet die erste Stufe des Netzhochlaufs.“

Doch postwendend meldete die sächsische CDU am Donnerstag, dem 16. November: „Entsetzten über Habecks Plan“.

Als wäre Sachsen gar nicht vorgesehen in dem Plan, was nicht stimmt. Abgesehen davon, dass gar nicht die Bundesregierung das Netz ausbauen soll, sondern die Privatwirtschaft.

Aber in der Arbeitskreissitzung der Wirtschaftspolitiker der CDU-Fraktion des Sächsischen Landtages war man wohl ganz und gar von dem Gedanken beseelt, dass ausgerechnet Chemnitz in den Plänen noch nicht vorkommt: „In seinem Wasserstoff-Kernnetz spielt Chemnitz wider Erwarten keine Rolle. Dabei entsteht hier eines der vier nationalen Wasserstoffzentren, das einzige in den neuen Bundesländern – und das wird jetzt nicht an das Kernnetz angeschlossen.“

Dazu ließ sich der wirtschaftspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Jan Hippold, mit den Worten zitieren: „Schon bei der Vorstellung des Umsetzungsberichtes zur Wasserstoffstoffstrategie im Wirtschaftsausschuss war klar, dass der zuständige Energieminister Wolfram Günther mit der praktischen Umsetzung überfordert scheint. Auch auf Nachfragen ist bisher nur schemenhaft eine inhaltlich belastbare Antwort erfolgt. Hier wird von Teilen der Staatsregierung die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit der Region Chemnitz auf das Spiel gesetzt!“

Und die CDU-Wirtschaftspolitikerin und Ausschussvorsitzende Ines Saborowski meinte: „Ich bin entsetzt, wie oberflächlich sich ein sächsischer Staatsminister für ein grünes Großprojekt in Chemnitz einsetzt. Dabei müssen wir unsere Stahlindustrie CO₂-neutral aufstellen. Dafür ist die Anbindung von Chemnitz an das bundesdeutsche Wasserstoffnetz unerlässlich.

Ich erwarte jetzt von Wolfram Günther, dass er seinem Parteifreund Habeck die Notwendigkeit der Chemnitzer Wasserstoffanbindung endlich näherbringt. Ich werde dafür kämpfen!“

Man nutzte die Gelegenheit also eher zu einem Frontalangriff auf den Koalitionspartner und stellvertretenden Ministerpräsidenten. Immerhin sind 2024 Landtagswahlen. Aber wenn sich die CDU derart in die Grünen verbeißt: Mit wem will sie eigentlich nach der nächsten Wahl regieren?

Grüne zu CDU-Aussagen: Wiederholt unsachlich und falsch

Doch die Vorwürfe gegen den grünen Umweltminister seien völlig aus der Luft gegriffen, meldete sich noch am selben Tag Dr. Daniel Gerber, energiepolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Sächsischen Landtag, zu Wort: „Die CDU-Fraktion hat mit ihrer heutigen Pressemitteilung falsche und widersinnige Aussagen getätigt. Diese bedürfen der Klarstellung. Der wiederholte Angriff auf den eigenen Koalitionspartner ist befremdlich und widerspricht den üblichen Gepflogenheiten im Umgang innerhalb einer Koalition.“

Und er betonte: „Beim Kernnetz handelt es sich um die erste Ausbaustufe. Die Regionen Chemnitz und Lausitz werden selbstverständlich im zweiten Ausbauschritt an das Wasserstoffnetz angeschlossen und spielen damit, anders als von der CDU behauptet, eine wichtige Rolle.“

Und zur Rolle des sächsischen Umweltministers: „Energieminister Wolfram Günther hat sich auf allen Ebenen für die Anbindung der Regionen Chemnitz, Dresden, Lausitz und Industriebogen Meißen eingesetzt. Dies erfolgte u.a. auch gemeinsam als Staatsregierung mit dem Wirtschaftsministerium und der Staatskanzlei.

Das Resultat ist der Erfolg, dass der Industriebogen Meißen und die Region Dresden unmittelbar in der ersten Stufe an das Netz angeschlossen werden. Die CDU-Fraktion leugnet diesen Erfolg und redet damit das Engagement der gesamten Staatsregierung inklusive der Staatskanzlei und des Ministerpräsidenten schlecht.“

Und noch schärfer formuliert Bernhard Herrmann, Chemnitzer Bundestagsabgeordneter im Ausschuss für Klimaschutz und Energie, seine Kritik an der CDU-Meldung.

„Beim Wasserstoff-Kernnetz handelt es sich um das Backbone der Wasserstoffversorgung, an welchem nun die Anschlüsse zu einem Verteilnetz entwickelt werden. Die CDU hat in 16 Jahren diese Kernnetz-Planung nicht einmal auf dem Papier hinbekommen“, betonte er noch am Donnerstag.

„Dabei geht es beim Kernnetz um den schnellen Aufbau einer Wasserstoff-Wirtschaft, mit Bestandsanlagen, aber auch umfangreichen Neubauabschnitten, gerade durch Südwestsachsen. Natürlich wird jeder am Markt reale Bedarf an Wasserstoff in Chemnitz gedeckt werden, so wie jetzt jeder Bedarf an Gas gedeckt wird. Auf Bundesebene werden daher alle Hausaufgaben gemacht, damit wir das Angebot, Wasserstoff in der Region Chemnitz auch schon deutlich vor 2032 bereitzustellen, auch nutzen können.“

Sachsen ist sehr wohl dabei

Und Sachsen sei in der ersten Ausbaustufe überhaupt nicht schlecht vertreten, so Herrmann: „Das BMWK und die Fernleitungsnetzbetreiber haben auf die Initiativen aus Sachsen reagiert und mehrere Neubauabschnitte in Sachsen vorgesehen: Eine neue Anbindung von Dresden, ein langer Neubau quer durch Südwestsachsen, im Leipziger Raum als auch im Industriebogen Meißen. Das sind gute Erfolge, die wir auf Bundesebene für Sachsen erkämpft haben.“

Sein Fazit für die sächsische CDU, die bis heute beharrlich an der Braunkohleverbrennung festhält und sich bislang nicht wirklich als Wegbereiter für alternative Energien gezeigt hat: „Wenn die CDU meint, diese Erfolge schlechtreden zu müssen, meint sie auch immer sich selbst. Es war immer die gesamte Staatsregierung mit Ministerpräsident Kretschmer und Energieminister Günther, die sich für diese Anbindungen starkgemacht hat.“

Die irrlichternde FDP

Aber da gibt es ja auch noch die irrlichternde FDP, die auf ganz ähnliche Art wie die CDU um Aufmerksamkeit buhlt.

„Die von Minister Habeck (Grüne) vorgestellten Pläne sind ungenügend und vergeben Chancen für Chemnitz und die Lausitz“, meinte bei der Gelegenheit Robert Malorny, designierter Spitzenkandidat der sächsischen FDP für die Landtagswahl 2024. Auch er beklagte, dass „die technologiestarke Region Chemnitz sowie die vor einem großen Strukturwandel stehende Lausitz an das Leitungsnetz für Wasserstoff“ noch nicht angebunden werden.

„Gerade Chemnitz ist nicht nur einer Wiege der Industrie in Deutschland, sondern dort ist auch das nationale Wasserstoff-Kompetenzzentrum angesiedelt. Die Entscheidung, die Wasserstoffleitung um dieses Zentrum herum zu legen, ist nur schwer zu verstehen“, findet Robert Malorny.

Und zur Lausitz: „Die Region steht vor einem großen Strukturwandel, wenn die Förderung des Energieträgers Braunkohle endet. Darum sollte doch gerade diese Region vom neuen Energieträger der Zukunft profitieren.“

Und auch er meinte, seine Kritik auf Sachsens Energieminister Wolfram Günther (Grüne) fokussieren zu müssen, der sich „jetzt hinstellt und die Pläne aus dem Hause seines Parteifreundes in Berlin uneingeschränkt begrüßt, statt darauf zu drängen, dass auch Chemnitz und die Lausitz ans Wasserstoffnetz kommen.“

Und: „Das ist doch sehr unverständlich für einen Minister, dessen mittelsächsischer Wahlkreis als Landtagsabgeordneter direkt vor den Toren Chemnitz liegt“, so Robert Malorny. Als würde es die Einbindung von Leipzig und Dresden in die erste Ausbaustufe des Netzes gar nicht geben.

In den CDU- und FDP-Statements werden sie gar nicht erwähnt, als gäbe es sie gar nicht. Das darf man schon Ignoranz nennen. Auch wenn es schon gewaltig nach entfesseltem Wahlkampf riecht.

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