Am heutigen Freitag, dem 17. Februar 2023 müssen sich die Leipzigerinnen und Leipziger durch einen Warnstreik des öffentlichen Dienstes auf gravierende Einschränkungen gefasst machen. Besonders für Fahrgäste von Bussen und Straßenbahnen der LVB wird es schwierig, denn während des 26-stündigen Ausstands könnten hier Prognosen und Aussagen von ver.di-Gewerkschaftern nach alle Räder stillstehen. Wir haben vorab mit einer Tram-Fahrerin der LVB über ihre Erlebnisse, ihre Sicht auf den Job und den Arbeitskampf gesprochen.

Für sie ist das Straßenbahnfahren ein Traumjob, in den sie eher spontan hereinkam und der sie seither nie mehr losließ: Daphne, wie sie hier heißen soll, ist 32 und steuert seit gut drei Jahren sämtliche Straßenbahnlinien und Wagentypen durch Leipzig. Ihren richtigen Namen will sie lieber nicht publik machen. Dennoch ist es ihr wichtig, der Öffentlichkeit aus ihrer Perspektive zu kommunizieren, wo es bei den LVB ihrer Ansicht nach klemmt und Verbesserungsbedarf da ist.

Straßenbahnfahren: Romantik mit Schattenseiten

Wer mit Daphne spricht, erlebt eine junge Frau, die spürbar für ihre Arbeit brennt. Dabei war es „mehr oder weniger eine just-for-fun-Bewerbung“, wie sie sich lachend erinnert, welche die branchenfremde Quereinsteigerin vor noch gar nicht so langer Zeit in die Fahrerkabine verschlug.

„Ich bin darauf hängengeblieben und will gar nicht mehr weg“, sagt sie heute. Besonders das Fahren an sich, die ständige Abwechslung auf verschiedenen Linien, die vielen Eindrücke auf den Touren und das selbständige Arbeiten haben es ihr angetan. Als „Nachteule“, wie sie sich selbst bezeichnet, ist sie überwiegend im Spätdienst unterwegs, der am Nachmittag beginnt und meistens ein oder zwei Uhr morgens endet. Wenn sie von Sonnenaufgängen und -untergängen erzählt, davon, wie sie früh am Morgen die langsam erwachende Stadt erlebt, kommt man leicht ins Schwärmen.

Doch bei aller Romantik, so erzählt es Daphne weiter, hat der Beruf auch so seine Kehrseiten. Besonders der fehlende Respekt mancher Fahrgäste fällt auf, hat die 32-Jährige beobachtet. Das fängt bei vorwurfsvollen Blicken Richtung Fahrer schon bei kleinen Verspätungen an und geht weiter bei Fahrgästen, die ihren Müll nicht wegräumen oder sich, gerade nachts, auch mal betrunken im Wagen übergeben. „Das kann passieren, aber dann kann man doch wenigstens was sagen und nicht einfach wegrennen!“

Manchmal erzählen ihr ältere Kollegen von früheren Zeiten, als etwa die Omi dem Tram-Fahrer noch einen Schoko-Weihnachtsmann reichte – einfach als Dank für den Dienst an Heiligabend. Das, so sieht es Daphne, könne man sich heute kaum vorstellen. Generell sei die Gesellschaft sehr egoistisch geworden, meint sie nachdenklich.

Es gibt keine absolute Sicherheit

Immerhin: Trotz zahlreicher Nachttouren hatte Daphne noch keine Schwierigkeiten mit pöbelndem oder aggressivem Klientel. Einmal, es war morgens um halb fünf, sprach sie einen offensichtlich zugedröhnten Fahrgast an, der seine Musikbox voll aufgedreht hatte. Als sie dem Mann ruhig erklärte, dass der laute Sound die Mitpassagiere störe, stellte er sofort leiser und alles war okay. Es sei ihr wichtig, den Menschen immer mit Respekt gegenüberzutreten, betont Daphne. Doch sie weiß, dass im Notfall auf sofortige Unterstützung durch die Leitstelle Verlass ist.

Ein anderes Thema ist die ständige Unfallgefahr. Gerade an Stellen wie dem Hauptbahnhof rennen Leute mit Blick auf ihr Smartphone achtlos über das Gleis, dann kommen im täglichen Linienstress noch unvorsichtige Radler dazu oder Autofahrer, die knapp vor der Bahn gnadenlos herüberziehen, um sich auch nur den kleinsten Vorsprung zu sichern.

Daphne hat sich, so sagt sie, mittlerweile ein Grundgefühl für brenzlige Situationen angeeignet und achtet schon im Eigeninteresse penibel auf Verkehrsregeln und Geschwindigkeitsbeschränkungen.

Doch trotz aller Vorsicht gibt keine absolute Sicherheit: Einem Kollegen von Daphne lief vor einiger Zeit eine Frau vor den Wagenzug, sie überlebte den Zusammenprall nicht. Der betroffene Fahrer war danach lange Zeit arbeitsunfähig, ist aber jetzt wieder im Dienst, nicht zuletzt dank der betriebsinternen Betreuung im Notfall. „Das kann ich dem Unternehmen nur zugutehalten“, betont Daphne.

Volle Unterstützung für den Warnstreik

Überhaupt ist sie keine Fahrerin, die mit ihrem Arbeitgeber abrechnen will – im Gegenteil: Auch die Flexibilität der Schichtzeiten, das kollegiale Umfeld, der Betriebsrat, verschiedene Mitarbeiter-Benefits, ihr sehr guter Teamleiter, die Sozialbetreuung und die Wiedereingliederungshilfen nach langem Krankheitsausfall, all das sind Gründe, warum Daphne nicht mehr von den LVB weg möchte.

Und dennoch unterstützt sie den Warnstreik am Freitag aus voller Überzeugung. Knackpunkt ist bei allen Vorteilen das Geld: „Gerade für die Verantwortung, die wir haben, ist es zu wenig“, zeigt sich Daphne überzeugt.

Derzeit erzielt sie, nach Steuern, Abgaben und inklusive den Zuschlägen für Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit meist knapp 2.000 Euro oder etwas darunter im Monat. Deutlich weniger als in anderen Städten wie etwa Halle an der Saale. Dafür arbeitet Daphne aktuell 39 Stunden pro Woche, ab April 38. Mit Anfahrtsweg von Zuhause und Retour ist sie dann im Schnitt neun bis zehn Stunden pro Arbeitstag auf Achse.

„Das Geld ist ungleich verteilt“

Sie selbst kommt mit ihrem Gehalt gut klar, auch wenn sie wie die ganze Belegschaft Krise und Preissteigerungen im Alltag zu spüren kriegt. Doch dass sie kinderlos ist und auch kein eigenes Auto besitzt, fällt dabei entscheidend ins Gewicht. Für Kolleginnen und Kollegen mit Kindern, womöglich noch alleinerziehend, wird es finanziell oft schon eng, weiß Daphne aus Gesprächen: „Es müsste eigentlich für alle eine drei vor dem Komma stehen“, sagt die 32-Jährige mit Anspielung auf die verschiedenen Gehaltsgruppen.

Dass ältere Kollegen mit längerer Betriebszugehörigkeit gestaffelt mehr verdienen und einen höheren Urlaubsanspruch haben, findet sie prinzipiell in Ordnung. Doch müsse die Ausgangsbasis als Grundanreiz für alle besser sein, findet die Straßenbahnfahrerin: „Der Arbeitgeber muss attraktiver werden und das ist bei vielen in erster Linie das Geld. So war es auch bei mir, ich habe mich erst dann in den Job reinverliebt.“

Das Argument „nicht finanzierbar“ weist Daphne zurück: „Für die Stadt Leipzig ist es vielleicht schwer, aber dann müssen sie sich ans Land Sachsen wenden, die sind für den ÖPNV mit zuständig. Das Geld ist da, es ist meiner Meinung nach nur ungleich verteilt.“

Starke Mobilisierung durch die Gewerkschaft

Daphne wird sich daher am heutigen Warnstreik beteiligen und ist zuversichtlich, dass die Forderung nach mindestens 500 Euro mehr im Monat durchgesetzt werden kann. Nicht alle Kolleginnen und Kollegen teilen ihren Optimismus, manche haben nach dem Motto „Es wird doch eh nichts rauskommen“ schon resigniert.

Das liege auch am fehlenden Vertrauen in ver.di, in der Vergangenheit habe sich die Gewerkschaft zu einfach abspeisen lassen, so sieht es Daphne. Jetzt allerdings habe sich die Stimmung gedreht, die Arbeitnehmervertretung habe die Zeichen der Zeit erkannt, stark mobilisiert und sei viel kämpferischer als bei früherer Gelegenheit.

Daher hofft Daphne, dass auch der Wunsch nach mehr Urlaub umgesetzt werden kann. Momentan kommt sie auf 31 Tage im Jahr, was schon deutlich mehr als bei ihrer früheren Arbeitsstelle ist. Trotzdem: Straßenbahnfahren sei ein schöner, aber auch psychisch anstrengender Beruf. Nach einer Schicht brauche man Zeit, um herunterzukommen, sich wieder zu erden und klar zu denken, hat Daphne festgestellt.

Dass sie bis zur Rente im Fahrerhaus bleibt, ist aus Daphnes Sicht unwahrscheinlich. Doch halten die LVB perspektivisch auch noch Aufstiegsmöglichkeiten im Innendienst bereit. Für den Streik hofft Daphne, dass auch kurzfristig noch viele unentschlossene Fahrerinnen und Fahrer auf der Straße mobilisiert werden können. Von der Gesellschaft, den Fahrgästen wünscht sie sich Respekt, Wertschätzung und Gelassenheit, dass man sich freundlich begegnen möge.

Sie und die allermeisten Kollegen machten den Fahrerjob jedenfalls noch immer sehr gerne. Und Daphne wiederholt mit Blick auf die Ziele des Streiks: „Es wird definitiv klappen. Da bin ich sehr optimistisch.“

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