Die Müdigkeit sieht man den beiden jungen Menschen an. Das liegt aber nicht an einer durchfeierten Nacht. Kaum 24 Stunden ist es her, dass sie den Polizeikessel in der Südvorstadt verlassen konnten. Rund zehn Stunden saßen die beiden 17-Jährigen im Gebüsch am Alexis-Schumann-Platz, erzählen sie. Was die beiden erlebt haben, waren nicht bloß ein paar Stunden erwartbarer polizeilicher Maßnahme.

Inhaltswarnung: Die folgenden Schilderungen könnten für einige Leser*innen emotional belastend sein.

Wir treffen uns im Park. Die Sonne scheint uns warm auf den Rücken. Anders, als noch vor ein paar Stunden. Da saßen die beiden, sie nennen sich Caspar und Nico, in dünnen Klamotten vor dem Kant-Gymnasium, eingekreist von Polizeiautos, Wasserwerfern und Beamt*innen, während es langsam immer kälter wurde.

„Am Anfang dachte ich, dass wir safe in ein paar Stunden, maximal drei oder vier, rauskommen“, erzählt Caspar. „Länger haben die auch keinen Bock, weil wir so viele Menschen sind. Aber so 0 Uhr, 1 Uhr, war ich auch so: Okay, muss ich jetzt hier ein Zeltlager aufschlagen?“

Nur dass natürlich keiner Zelte oder überhaupt genug Essen mit hatte. „Niemand hatte wirklich dicke Klamotten dabei“, so Nico. „Tagsüber waren es ja sicher so 25 Grad. Und dann aber unter 10 Grad.“ Ansagen von der Polizei hätten die beiden kaum gehört. Mit mehreren hundert Menschen saßen sie in der Nacht von Samstag, dem „Tag X“ im Lina-E-Prozess, auf Sonntag im Polizeikessel. Sein Vater habe ihn sogar gesehen, erzählt Nico. Mehrere andere Eltern waren am Samstag zur Unterstützung vor Ort.

„Bewusste Schikane” durch die Polizei

Anfangs sei die Stimmung im Kessel noch halbwegs gut gewesen, erzählen die beiden. Um Wasser und Essen hätte sich die Polizei nicht gekümmert. Auch, dass es anscheinend eine Toilette gegeben habe, hätten nicht alle im Kessel mitbekommen. Außerdem hätten nicht viele das genutzt, weil Menschen dann sofort in die erkennungsdienstliche Behandlung kamen. Also musste man sich selbst helfen, erzählt Nico.

„So nach drei oder vier Stunden wurde dann das ‘Klo’ etabliert. Also ein Gebüsch, das noch ganz gut abgeschottet war.“ Caspar fügt hinzu: „Das war aber echt eklig.“

Man habe versucht, gemeinsam gut klarzukommen. „Die Stimmung hielt sich relativ gut“, so Nico. „Leute haben Parolen gerufen, zusammen gesungen, Spiele gespielt. Aber es war trotzdem ein Scheiß-Gefühl. Vor allem, weil wir alle nicht wussten, was passiert.“ Als es dunkel wurde, ließ die Polizei Scheinwerfer aufstellen, um das Areal auszuleuchten. Schlafen sei dann kaum noch möglich gewesen. „Da haben die Leute dann kapiert, dass wir hier nicht so schnell raus kommen“, so Caspar. „Da gab es auch die ersten Nervenzusammenbrüche.“

„Die Bullen haben uns schikaniert.“, sagt Nico. Caspar erzählt: „Da war so ein Typ, der wollte nur pissen. Auf einmal leuchten die Bullen rein, sehen, dass der pisst und machen trotzdem das Licht nicht aus. Die konnten den beobachten und wir ja auch alle. Das war so demütigend und eklig.”

Die Polizei führt eine Person aus dem Kessel. Foto: Tom Richter
Die Polizei führt eine Person aus dem Kessel. Foto: Tom Richter

Auch Rettungsdecken hätten die Sanitäter*innen nicht mehr bringen dürfen, damit sich die Gekesselten etwas wärmen können. „Wir haben die Sanitäter angesprochen, ob wir noch mehr Rettungsdecken haben können“, beschreibt Caspar. „Die meinten zu uns: Die Polizei hat uns gesagt, dass wir euch das nicht mehr geben können, weil ihr es nicht verdient habt. Die Decken waren halt zerknittert oder zerrissen, weil Leute versucht haben, sich die zu teilen.“

Dann sind sie einfach reingeprescht

„Gegen 2 Uhr morgens war das, glaube ich, als die Polizei angefangen hat, in den Kessel reinzupreschen. Ohne Vorwarnung oder Ansage sind die rein und haben Leute mit Schmerzgriffen rausgerissen, geknüppelt, über den Boden gezerrt, runter gedrückt“, erzählt Nico.

Da hätten die beiden Angst bekommen. Vor allem nach so vielen ermüdenden und anstrengenden Stunden der Unklarheit und der Kälte sei die Nervosität hoch gewesen. Die Polizei habe Schmerzgriffe angewendet, sobald man nicht sofort freiwillig mitgekommen sei. „Es gab die ganze Zeit genug Leute, die freiwillig gehen wollten“, meint Nico. „Aber die Polizei hatte halt einfach Bock.“

„Die haben doch unsere Ausweise angeschaut …“

Es ist eben nicht irgendeine Demo mit Polizeimaßnahme gewesen. Allein die Polizeipräsenz spricht für sich. Und: Es lässt sich nur schwer verstehen, warum die Polizei bei einer angemeldeten Demo so handelte, auch trotz erhöhter Anspannung nicht. Gegen 18 Uhr wurde die Versammlung, die vom Alexis-Schumann-Platz in Richtung Innenstadt laufen wollte, gekesselt. Ein brennendes Geschoss flog.

Beschuldigt werden sie alle des schweren Landfriedensbruchs. Die Polizei stellte bereits vor Ort fest, dass sich im Kessel viele Minderjährige, wie auch Caspar und Nico, befanden. Man wolle sie „priorisiert betrachten“. Laut Aussagen gegenüber dem freien Journalisten Felix Sassmannshausen sei nicht bekannt, dass Minderjährige bis in die Morgenstunden festgesetzt worden seien.

„Die haben doch unsere Ausweise angeschaut. Das heißt, die haben sich sicher aufgeschrieben, wann wir raus sind. Hätten die einmal kurz auf mein Geburtsdatum geschaut, hätten die es ja sofort gewusst“, so Caspar. Sie seien aber nicht darauf angesprochen worden.

Ohne Identitätsfeststellung sei niemand aus dem Kessel rausgekommen. Dabei ist immer noch unklar, ob tatsächlich alle, die im Kessel waren, tatsächlich an Straftaten beteiligt gewesen waren. Viele wollten ihr Recht auf Versammlungsfreiheit friedlich ausüben. Trotzdem ließ die Polizei niemanden gehen, ohne Name, Adresse und Fotos zu speichern.

Sexualisierte Gewalt durch die Polizei

„Sie haben meinen Rucksack durchsucht und meine Pullis konfisziert. Meine Handys haben sie mitgenommen“, erzählt Nico. Gegen 3:30 Uhr morgens war das. Einer „seiner Leute“, männlich, 19 Jahre alt, sei im Schritt abgetastet und angeleuchtet worden. Eine 16-jährige Person, die in der Dimitroff-Wache in Gewahrsam genommen wurde, habe später erzählt, sie hätte sich bis auf die Unterwäsche ausziehen müssen und sei abgetastet worden. Wo genau, habe sie nicht erzählt. Von diesen Schilderungen kursieren auch einige auf Twitter.

Caspar habe mehr Glück gehabt, „weil ich für die nicht so gefährlich aussehe“, wahrscheinlich wegen des zugeschriebenen Geschlechts. Um 4:30 Uhr sei Caspar aus der Maßnahme gekommen, mit einem Platzverweis für ganz Connewitz. Auch Nico habe einen Platzverweis erhalten.

„Ich habe bei dem Polizisten auch nochmal nachgefragt“, erzählt Nico. „Aber der meinte nur zu mir: Das hast du schon verstanden. Wenn wir dich finden, nehmen wir dich mit.“

„Das lasse ich mir nicht mehr gefallen“

„Ich hab auch viele Tweets von irgendwelchen politischen Mitte-Leute gesehen, die gesagt haben: Die haben es nicht anders verdient. Das ist Bullshit. Ich hoffe, dass diese Aktion deutschlandweit ankommt und dass sich etwas verändert. Ich will so nicht weiterleben. Das lasse ich mir nicht mehr gefallen“, so Caspar.

Zehn Menschen sitzen nach den Ereignissen seit Mittwoch bereits in U-Haft. Offen kritisieren die beiden, was die Polizei „sich leisten kann, ohne Konsequenzen zu tragen“. Unverhältnismäßig fänden die beiden die Handlungen. „Die hatten einfach Bock draufzuhauen.“ Und die gesellschaftliche beziehungsweise politische Mitte akzeptiere das.

Dankbar seien die beiden den Unterstützer*innen draußen vor dem Kessel, die „die ganze Nacht dageblieben sind, obwohl sie nicht gemusst hätten“.

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Es gibt 4 Kommentare

Nach der gewalttätigen Nacht vom Freitag zum Sonnabend muss doch allen klar gewesen sein, dass der deutschlandweit rekrutierte Schwarze Block auch die Demo für die Demonstrationsfreiheit entsprechend missbrauchen wird. Jeder verantwortungsvolle Eltern hätte die Gefahr erkennen können und seine Minderjährigen entsprechend reklementieren können. Nun war auch es dann zu Angriffen auf die Polizei (nicht Bullen wie im Artikel) gekommen und diese will dann auch mal mit Name und Adresse wissen wer es war, wobei die Identitätsfeststellung bei der großen Anzahl auch mal länger dauern kann, zum Glück lag kein Schnee. Selbst musste ich bei einer Demo gegen den ersten Golfkrieg 1991 körperlich wahrnehmen, dass der ausgerastete Schwarze Block auf dem Kuhdamm in Berlin dann dazu führt als Unbeteiligter einen Knüppel abzubekommen. Meine Empörung wurde dann von dem neben mir stehenden Journalisten Fritz Pleitgen mit ” Mitgegangen mitgehangen” kommentiert. Auch eine Erfahrung…

Ach Leutz, ich kann so was einfach nicht ernst nehmen. Bei vielen Demos hab ich diese “Jungrevolutionäre” mitbekommen, die ganz begeistert und berauscht von sich selber sind. Dann rufen sie A.C.A.B und irgend etwas von Sozialismus und Revolution, danach geht’s dann wieder nach Hause. Papi, Mami und ganz stolz angucken (oder vielleicht auch provokativ, wenn die politisch anders gepolt sind) und die schwarzen Klamotten in den Schrank hängen. Dann noch schnell Bilder auf WhatsApp teilen von der Revoluzzer-Peergroup und ab an den Schreibtisch. Das Abi steht ja an und das “System” verlangt Lernleistungen.

Und dieses mal:

Ups, der Revolutionskarneval mit der Polizei klappt nicht mehr so richtig. Ein paar brennende Barrikaden, Böller und Raketen und plötzlich haben die “Bullen” keinen Bock mehr auf das übliche Kindergartenspiel. Die wollen plötzlich wissen, wer hier Scheiße baut.

Ja, aber ich bin doch nur braver Abiturient und Mitläufer auf Abenteuertour. Scheiße, ich muss schei…. Geh ich zum Toilettenwagen, den die Bullen mitgebracht haben Hm, dann bin ich ja einer der ersten, der aufgeschrieben wird. Und die aus Connewitz sagen, dass wir dann zwar sofort nach Hause könnten, aber wir dann für immer von System beobachtet und kontrolliert werden. “Und ihr wisst doch, dass das Schweinesystem diktatorisch und faschistisch ist …”

Dann rufe ich doch mal lieber Papa an und sage ihm, dass ich mich unwohl fühle. Also, als ich letztens auf diesem geilen Festival war und die Leute sich das Zeug eingeschmissen hatten, hatte sich Mami damals sehr unwohl gefühlt und sagte, sie wüsste gerne, mit wem ich abhänge. Und jetzt bin ich in der Gewalt von üblen Typen und selbst die weiblich gelesenen Polizist*Innen, die da dabei sind, sind auch ganz schön unlocker drauf. Da sag ihr mal lieber, mit wem ich hier zusammen bin.

Ah, Gott sei Dank, Papa ist jetzt da und winkt von außen. Jetzt muss ich aber schon ein bisschen weinen. Aber ich fühle mich noch immer so unwohl. Hoffentlich läuft mein Akku nicht leer, damit ich noch wenigstens Papas Stimme weiter hören kann.
Ja, vielleicht hätte ich doch nicht ganz so lautstark mitbrüllen und gegen die Bullen-Kette drücken sollen. Aber wir sind doch gegen die Nazis, wir sind doch die wirklich konsequenten Demokraten. Nicht so Weicheier wie die Mehrheit der Spießbürger. Mist, jetzt muss ich schon wieder heulen …

“Stärke zu zeigen kann auch deeskalierend wirken” findet der Polizeipräsident, ist aber unzufrieden, nicht genug Leute abgeschreckt zu haben. Abschrecken ist aber keine Deeskalation.

Ansonsten empfehle ich den Montagskommentar auf radioeins von Friedrich Küppersbusch, betitelt “Eskalation mit Ansage”: https://youtu.be/eeCqIH4F5zs

> Inhaltswarnung: Die folgenden Schilderungen könnten für einige Leser*innen emotional belastend sein.
Es gab in dem Artikel keine, aber auch wirklich gar keine Stelle, die emotional belastend sein könnte; in einem Maße, das eine WARNUNG nötig wäre. Die Menge an Leuten, die eine Warnung vor ausgiebigen Gendern begrüßen würde, ist DEUTLICH höher.

> “Länger haben die [Polizisten] auch keinen Bock […]”
Und schon der erste Trugschluss. So funktionieren solche Gruppen oder Institutionen auch gar nicht. Ging da jemand seiner eigenen Vorstellung von Kämpfen in der Gesellschaft auf den Leim?

> “Aber so 0 Uhr, 1 Uhr, war ich auch so: Okay […]”
Er war auch so? Ok? What? Was bringt dieser unverfälschte o-Ton außerhalb eines richtigen Interviews?

> “Außerdem hätten nicht viele das [bereitgestellte Klo, von dem niemand was wusste] genutzt, weil Menschen dann sofort in die erkennungsdienstliche Behandlung kamen.”
Und was wäre das für ganz normale jugendliche Minderjährige für ein Problem? Warum sollte jemand, der dort einfach nur demonstrieren wollte, also mit Lina und Tag X im Grunde gar nichts zu tun hat, die Aufnahme der Personalien vermeiden wollen?

“[…] sehen, dass der pisst und machen trotzdem das Licht nicht aus. Die konnten den beobachten und wir ja auch alle. Das war so demütigend und eklig.”
Abgesehen davon, dass ich so ein Verhalten der Polizei tatsächlich sehr demütigend und sanktionswürdig fände – warum eklig? Konnte niemand weg gucken als er sich erleichterte und hingeleuchtet wurde??

“Die Polizei hat uns gesagt, dass wir euch das [weitere Decken] nicht mehr geben können, […]”
Sanitäter, die unter der Hoheit der Polizei handeln, beziehungsweise dieses unterlassen, weil sie Polizei das so möchte? Ärzte, die nicht behandeln oder helfen dürfen, weil Polizeianweisungen über ihrem Eid stehen? Ich bin sehr auf die Aufarbeitung dieses kommenden Skandals gespannt.

> “Es gab die ganze Zeit genug Leute, die freiwillig gehen wollten“, meint Nico. „Aber die Polizei hatte halt einfach Bock.“
Hab ich das richtig verstanden? Die Annahme war, dass die Polizei sich dort an den Rand stellt und lieb fragt: “Sooo liebe Leute, wer aus der Gruppe hat denn gerade Lust freiwillig zu gehen?”
Ich frage mich, warum hier ein Sprachrohr für diese jungen Leute geschaffen wurde, ohne dieses völlig verzerrte Weltbild wenigstens ein BIßCHEN einzuordnen und gerade zu rücken. Selbst banale Meldungen über Tagesgeschehenisse werden hier kommentierend eingeordnet. Aber solche unerfüllbaren Denkweisen stehen einfach im Raum.

> “Viele wollten ihr Recht auf Versammlungsfreiheit friedlich ausüben.”
Das war an diesem Wochenende einfach eine richtig schlechte Idee! Jeder, der halbwegs bei Sinnen war und irgendwie real im Leben steht wusste, dass die Lage sehr angespannt und definitiv NICHT der richtige Zeitpunkt für Prinzipiendemonstrationen angezeigt war.

> “Caspar habe mehr Glück gehabt, „weil ich für die nicht so gefährlich aussehe“, wahrscheinlich wegen des zugeschriebenen Geschlechts.”
Also wegen seines Geschlechts.
Der Autor lässt die Leser hier etwas im Dunkeln: weil er ein Mann ist, hatte er mehr Glück? Oder weil er eine Frau ist, obwohl er sich Caspar nennt? Was war da jetzt die Unterstellung – und was genau das zugeschriebene Geschlecht? Und spielt das überhaupt irgendeine Rolle für die Erzählung hier im Artikel, oder ist es nur der Nerv der Zeit, der bedient werden möchte?

> “„Ich habe bei dem Polizisten auch nochmal nachgefragt“, erzählt Nico. „Aber der meinte nur zu mir: Das hast du schon verstanden.”
Verstehe ich das richtig? Nachdem er stundenlang in einer als Schikane empfundenen und persönlich sehr stressigen und wahrscheinlich als Repression empfundenen Polizeimaßnahme war, hat er tatsächlich die Chuzpe, nach einer DIREKTEN Ansage des Polizisten und ganz kurz vor seiner Entlassung NOCH MAL NACHZUFRAGEN? Was genau braucht es denn, um so einen Menschen endlich zu erleuchten? Oder passt die Geschichte über Stress, Angst und Repression einfach nicht zusammen?

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