Am Ende war auch OBM Burkhard Jung ziemlich geschafft nach der Ratsversammlung am 5. Juli, bei der ganz zum Schluss noch zwei elementare Beschlüsse auf der Tagesordnung standen – beide zum 25 Hektar großen Gebiet des ehemaligen Eutritzscher Freiladebahnhofs, auf dem jetzt ein neues Stadtquartier entstehen soll. Ein Quartier, das auch zeigt, was in der deutschen Wohnungspolitik gründlich falsch läuft.

In der Grundstückspolitik sowieso, denn auch dieses zentrumsnahe Gebiet, das die Deutsche Bahn für ihre Zwecke schon lange nicht mehr braucht, wurde im fernen Jahr 2005 eben nicht an die Stadt Leipzig verkauft. Ein Jahr, in dem auch das Leipziger Liegenschaftsamt noch den Schlaf der Gerechten schlief und städtische Grundstücke lieber verkaufte, statt sich für das Wachstum der Stadt mit notwendigen Flächen einzudecken. Es brauchte Jahre der Mahnungen aus dem Stadtrat, bis diese unselige Praxis endlich eingestellt wurde.

Nur: Da war es längst zu spät. Als Leipzig noch emsig verkaufte, deckten sich mögliche Investoren, aber auch Spekulanten in Leipzig billig ein mit Grundstücken. Als Leipzig endlich wach wurde, war alles verkauft.

So schafft man Konflikte, wenn man falsche Weichen stellt und ein obrigkeitlicher Freistaat Sparhaushalte erzwingt, bei denen ausgerechnet dann, wenn Zukunftsinvestitionen nötig sind, Sparen und Kürzen verordnet werden. Eine Politik, die bis heute fortgeführt wird.

Von 2 auf 200 Millionen

SPD-Stadträtin Anja Feichtinger brachte es am 5. Juli auf den Punkt, als sie einfach mal eine Zusammenfassung der Tagesschau zitierte, welche die massiven Wertsteigerungen der 25 Hektar sichtbar macht: „2005 war das 25-Hektar-Areal von der Deutschen Bahn für 2,1 Millionen Euro an einen Vermögensverwalter gegangen. Die CG-Gruppe des Unternehmers Christoph Gröner kaufte das Gelände 2015 für 33 Millionen Euro mit dem Plan, dort ein Stadtviertel zu entwickeln. Allerdings verkaufte das Unternehmen das Grundstück vier Jahre später für 195 Millionen Euro an das österreichische Unternehmen Imfarr Beteiligungs GmbH.

2021 stieg die Gateway Real Estate in das Projekt ein und wollte Verbindlichkeiten im Wert von 210 Millionen Euro übernehmen. Der Wert des Areals stieg also innerhalb von 16 Jahren von 2,1 auf 210 Millionen Euro. Wenn kleine Zugewinne an Flächen wieder herausgerechnet werden, ergibt sich eine Versechzigfachung des Wertes pro Quadratmeter – ohne dass ein einziges Haus gebaut wurde.“

Eine Wertsteigerung, die natürlich zum Hintergrund hat, dass Leipzig in diesen 16 Jahren von 502.000 Einwohnern auf knapp 602.000 Einwohner wuchs. Ein Trend, der 2005 schon sichtbar und überall in deutschen Großstädten zu sehen war. Und während Leipzig noch emsig an Bevölkerungsvorausberechnungen knobelte, kauften Investoren einfach jede feil gebotene Fläche auf. Und Spekulanten auch, weil für sie die Rechnung einfach ist: Bevölkerungswachstum bedeutet Baubedarf, Baubedarf bedeutet Wertsteigerung für alle Baugrundstücke.

Dringend benötigte Wohnungen

So gesehen war es für Leipzig sogar ein Glück, dass die neuen Eigentümer seit 2019 bereit waren, mit der Stadt tatsächlich über lauter zusätzliche Bedingungen zu verhandeln, die im Gelände umgesetzt werden sollen. Einige davon sorgen zusätzlich für Kosten, die am Ende auch das Bauen und damit die absehbaren Mieten verteuern. Und die werden wohl bei 15 Euro je Quadratmeter landen, wie der Grünen-Fraktionsvorsitzende Dr. Tobias Peter vermutet.

Das gehört in Leipzig eindeutig zum gehobenen Segment. Auch wenn sich die Stadt 35 Prozent Anteil an Sozialwohnungen gesichert hat. Da fließen, wie Piraten-Stadträtin Ute Elisabeth Gabelmann richtig bemerkte, natürlich Fördergelder, die Bund und Land zur Verfügung stellen.

Aber wichtig ist, so Peter, dass überhaupt Wohnungen gebaut werden, die in Leipzig überall fehlen. Die vielen Verhandlungen um den Freiladebahnhof waren zäh, kleinteilig, aber auch wichtig. Immerhin soll das auch ein Vorzeige-Projekt als Schwammquartier werden, also ein Quartier, das Wasser deutlich besser speichert. Es soll öffentliches Grün geben, aber auch für die Flächen für Schule und Sporthalle hat sich Leipzig das Zugriffsrecht gesichert.

Auch hier kann und muss jetzt geplant werden, wie CDU-Stadträtin Dr. Sabine Heymann mahnte. Irgendwie war ja an diesem 5. Juli so eine Art Wettrennen ausgerufen worden: Wer baut schneller? Die Stadt oder der private Investor?

Und wie schnell bekommt Leipzig die verkehrlichen Anbindungen hin? Da geht es nicht nur um die neuen Straßen im Quartier, die der Investor baut, sondern auch um die Anbindung an die Straßenbahn. Die eine vorhandene Haltestelle reicht dann garantiert nicht mehr.

Acht Jahre Verhandlungen, nun kann es losgehen

Aber gar nicht mehr erwähnt wurde am 5. Juli ein weiteres Projekt: der Radschnellweg, der vom Hauptbahnhof kommend hier Richtung Halle führen soll. Der war bislang auch noch nicht geplant, sondern nur ein einfacher, 2,50 Meter breiter Radweg. Der Radschnellweg aber soll 4 Meter breit werden.

Für die beteiligten Stadträtinnen und Stadträte war der Beschluss am 5. Juli wie ein letztes Aufatmen, nachdem die Verhandlungen mit teils wechselnden Investoren auch die Ausschüsse des Stadtrates immer wieder beschäftigt hatten. Jetzt sind sie, wie man hören konnte, alle gespannt, wie schnell jetzt die Baukräne dastehen, Straßen gebaut und Anschlussleitungen verlegt werden – und das im Grunde seit 2015 andauernde Ringen um dieses innerstädtische Grundstück auch endlich zu Ergebnissen führt.

Gemecker gab es letztlich nur aus der AfD-Fraktion, der es einfach nicht gefällt, dass eine Stadt wie Leipzig bei solchen Großprojekten auch die vitalen Interessen der Stadt einbringt und den Vertragspartner zu einer kooperativen Bauleitplanung bringt. Das sieht zwar erst einmal so aus, als würde damit das Bauen mit lauter Extra-Wünschen befrachtet. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass das Wohnumfeld dadurch deutlich aufgewertet wird und das neue Wohnquartier wichtigen Klimaansprüchen der Stadt genügt. Das umfasst Punkte von der gewünschten Holzbauweise (die freilich noch unsicher ist) über die Schwammstadtidee bis hin zum autoarmen Wohnen, auch wenn am Ende trotzdem wieder 1.750 Stellplätze entstehen sollen.

Der städtebauliche Vertrag, mit dem die Stadt ihre Rechte sichert, bekam am 5. Juli tatsächlich die komplette Zustimmung der anwesenden 52 Ratsmitglieder.

Der städtebauliche Vertrag zum Eutritzscher Freiladebahnhof.

Der Bebauungsplan für den Eutritzscher Freiladebahnhof.

Nur beim Bebauungsplan selbst und dem von der Stadt vereinbarten Vorkaufsrecht scherten die fünf anwesenden AfD-Mitglieder aus und stimmten dagegen, während die anderen 48 Ratsmitglieder ihr „Ja“ für beide Papiere gaben. Es kann also – zeitgleich mit den Arbeiten am Wilhelm-Leuschner-Platz – auch am einstigen Eutritzscher Freiladebahnhof losgehen.

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