Bei strahlendem Sonnenschein machte ich mich an einem Novembertag auf den Weg in die Kleinstadt südlich von Leipzig. Auf Höhe des Zwenkauer Sees bremste mich ein Platten am Fahrrad. Als ich zerknirscht meine Verspätung zum Termin ankündigte, entsendete Schulz kurzerhand einen Mitarbeiter mitsamt Transporter, um mich und mein Rad abzuholen. Nach Standort-Missverständnissen und mit mehr als einer Stunde Verspätung kam ich schließlich an in den „heiligen Hallen“ der Stadt. Und sprach mit Holger Schulz über Bürger/-innennähe, die Folgen der Corona-Pandemie und seine Zukunftsvisionen für die Stadt.

Herr Schulz, wie geht es Ihnen momentan?

Gut. Mit einem gewissen Abstand zum öffentlichen Treiben – mir geht es wieder gut. Mittlerweile bin ich genesen von Corona. Bei mir hat es recht kräftig zugeschlagen, aber inzwischen geht es mir wieder gut. Nur auf die Rückkehr meines Geruchs- und Geschmackssinns warte ich noch. Ich muss sagen, solche Dinge erden.

Sie sind inzwischen seit fast zwei vollen Amtsperioden Bürgermeister in Zwenkau. Sind Sie auch hier aufgewachsen?

Nun ja, hier sagt man, einer ist ein richtiger Zwenkauer, wenn die Familie in fünfter Generation hier lebt. So weit bin ich noch nicht. Aber ich wurde hier geboren. Meine Familie ist Anfang des 20. Jahrhunderts während der Industrialisierungswelle nach Zwenkau gekommen. Ich bin sehr verwurzelt hier und ich liebe die Stadt.

Hat Sie diese Liebe zur Stadt auch dazu bewogen, für das Amt des Bürgermeisters zu kandidieren?

Zum Studium und zur Lehre war ich außerhalb, habe später in Knautnaundorf gearbeitet. 1994 habe ich mich schließlich mit meinem eigenen Ingenieursbüro hier in Zwenkau selbstständig gemacht. In meiner Freizeit habe ich immer viel Vereinsarbeit geleistet; ob im Sportbereich oder bei Kulturinitiativen. Die eindeutige Überlegung, für das Amt zu kandidieren, kam erst, als mein Vorgänger an mich herantrat. In einem Ort wie Zwenkau kennt man sich.

Zunächst wollte ich davon nichts wissen, aber was soll ich sagen? Er war ein guter Diplomat. Und nach einem halben Jahr habe ich dann doch „Ja“ gesagt. Und seitdem bin ich gern Bürgermeister, gebe 100 Prozent. Meine Entscheidung habe ich nie bereut. Mir ist wichtig, was hier entwickelt wird.

Gehen die Dinge Ihrer Meinung nach gut voran in Zwenkau? Wo besteht noch Bedarf?

Allgemein bin ich zufrieden mit der Entwicklung. Natürlich gibt es immer Dinge, die besser laufen könnten. Bei uns ist das beispielsweise die Fertigstellung des Harthkanals – ein Riesenthema hier. Auch die Arbeit der LMBV ist für mich momentan sehr unbefriedigend.

Wie schätzen Sie die Stimmung im hiesigen Stadtrat ein?

In einer Stadt von der Größe wie Zwenkau findet weniger Parteipolitik-, eher Sachpolitik im Stadtrat statt. Nur manchmal entgleisen die Themen ein wenig. Das ärgert mich dann auch. Ich denke, wir sind alle angetreten für die Zwenkauer/-innen. Nicht für Einzelinteressen. Generell ist die Stimmung im Stadtrat aber gut.

Wie oft kommen Sie dazu, in direkten Kontakt mit den Bürger/-innen in Zwenkau zu treten?

Eigentlich sehr oft, durch Corona wurde das natürlich unheimlich eingebremst. Mit meinem Amtsantritt habe ich natürlich von meinem Vorgänger die Ehrung von Jubiläen übernommen – der 80. Oder 90. Geburtstag einer/eines Bürger/-in oder eine Goldene Hochzeit. Erst vor kurzem war ich auf einer Gnaden-Hochzeit, das sind 70 Jahre.

Ich habe mit Amtsantritt zusätzlich mit der Baby-Begrüßung angefangen. Das heißt, dass das Neugeborene bzw. dessen Eltern, Post von mir bekommen nach dem Motto „Wenn du mich persönlich einmal kennenlernen möchtest, gib’ deinen Eltern Bescheid und wir machen einen Termin aus“. Etwa 60 Prozent der Zwenkauer/-innen nehmen dieses Angebot an. Der Kontakt ist mir wirklich sehr wichtig.

Wir als Verwaltung sind das Mittlungsorgan zwischen Staatlichkeit und Bürgerschaft. Dafür ist es wichtig, sich auch in der Stadt zu bewegen und Hemmungen abzubauen. Niemand soll denken, dass das Rathaus ein Glasturm ist, in den niemand hereinkommt. Leider leidet auch diese Form des Bürgerkontaktes momentan.

Die Größe der Stadt ist von Vorteil. Aber oft sage ich: Zwenkau ist als Dorf zu groß und als Stadt zu klein. Wir haben leider nicht mehr diesen dörflichen Charakter und Zusammenhalt, aber auch noch nicht die Anonymität der Großstadt.

Wie kommen Sie täglich zur Arbeit und wie schätzen Sie den Öffentlichen Nahverkehr in Zwenkau ein?

Zur Arbeit komme ich zu Fuß, ich wohne nur wenige hundert Meter vom Rathaus entfernt. Zu Terminen, das muss ich zugeben, nutze ich weniger den ÖPNV. Das hängt damit zusammen, dass meine dienstlichen Zieladressen zu viel Zeit rauben mit den öffentlichen Verkehrsmitteln.

Ich brauche die Zeit für andere Termine und Arbeiten. Mich ärgert es schon, wenn ich bis Dresden eine Stunde hin und auch wieder eine Stunde zurück oder länger benötige und dabei untätig im Auto sitze. Wiederum erst bis Leipzig zu fahren, dort in den Zug zu steigen und in Dresden mit Taxi und Straßenbahn weiterzufahren, verdoppelt die Zeit noch.

Deshalb kämpfe ich für die bessere Anbindung an Bahntrassen. Mein Hauptwunsch ist die S-Bahn-Anbindung an Zwenkau. Früher hatten wir eine Bahnlinie von der Leipzig-Meuselwitzer Eisenbahngesellschaft, getragen von den Städten Zwenkau, Groitzsch und Meuselwitz. Die wurde privat durch die Kommunen finanziert. Später hat die Sächsische Eisenbahn die Gesellschaft übernommen.

Auch nach der Wende war die Linie noch für Kohlezüge Richtung Groitzsch in Gebrauch. Mit einer Bahnanbindung würden wir etwa 20 Minuten brauchen für die Strecke nach Leipzig. Das wäre ein Ziel, um die Region und den Ort zu stärken. Es gibt um Zwenkau gut entwickelte Gewerbegebiete und ich möchte noch mehr entwickeln. Wir brauchen die Bahnanbindung.

Als Übergangslösung würde ich gern eine Stadtbuslinie installieren, die getaktet ist an die S-Bahn in Böhlen und den Haltepunkt in Großdalzig, einem Ortsteil von Zwenkau. So ähnlich setzen es auch andere Teile im Landkreis um.

Erhalten Sie oft Beschwerden durch die Bürger/-innen?

Natürlich gibt es die. Wir versuchen, vernünftig zu reagieren. Das ist manchmal nicht in der gewünschten Geschwindigkeit möglich, oft aus verfahrenstechnischen Gründen. Das zu vermitteln, kann kompliziert sein. Grundsätzlich ist aber das Rathaus am Dienstag und Donnerstag für die Bürger/-innen immer offen. In speziellen Fällen gehe ich auch zu ihnen. Natürlich ist durch meinen Besuch ein Problem auch nicht immer gelöst. In der Corona-Zeit fallen mehr Beschwerden an, es wird intensiver auf das direkte Umfeld geachtet. Das hat sich schon bemerkbar gemacht.

Wie ist die Stadt bisher durch die Corona-Pandemie gekommen?

Es tut schon ganz schön weh. Vor allem für die Gewerbetreibenden, die Einzelhändler/-innen. Ich habe schon Angst, dass das nicht zur „vor-coronalen“ Normalität zurückfindet. Auch das Verbraucher/-innenverhalten hat sich verändert, die Bestellung per Klick im Internet ist natürlich mehr zur Gewohnheit geworden. Da ist es für eine Stadt von unserer Größenordnung schon schwierig, das Ortszentrum vital und am Leben zu halten. In der Beziehung ist Leipzig „leider“ zu nah.

Was uns sehr wehgetan hat, ist der Rückzug der Konsum Leipzig eG. Anfang dieses Jahres hat der zweite Konsum in Zwenkau geschlossen; aus Umsatzgründen. Es war das einzige Lebensmittelgeschäft in der Innenstadt mit breitgefächertem Angebot. Für mich ist das nicht der Sinn einer Genossenschaft. Vielleicht hätte eine stärkere Filiale die weniger umsatzstarke hier vor Ort stützen können.

In den 13 ½ Jahren, in denen ich inzwischen Bürgermeister in Zwenkau bin, habe ich bisher nur Wachstum der Stadt erleben dürfen. Vor meiner Zeit gab es einen ganz herben Einschnitt: die Schließung der Mittelschule. Die Schule wurde unter Beobachtung gestellt – Mitwirkungsentzug und wurde schließlich zugemacht. Die Schüler/-innen haben vorrangig die Einrichtungen in den Nachbarorten besucht.

Gemäß Gesetz darf an der gleichen Stelle nicht der gleiche Schultyp in privater Trägerschaft eröffnet werden. Nahtlos ist seinerzeit anstelle der Mittelschule ein freies Gymnasium in Betrieb gegangen. Das läuft auch sehr gut. Dennoch ist es unser Ansinnen, auch im Oberschulbereich wieder an den Start zu gehen. Momentan befinden wir uns auf Standortsuche und in Verhandlung zur Unterstützung durch den Freistaat. Sollte das nicht klappen, ist auch die Einrichtung einer freien Schule denkbar. Undenkbar ist, dass die Oberschüler/-innen aus Zwenkau weiterhin zwingend in andere Orte fahren müssen.

Haben Sie vor, noch einmal für das Amt des Bürgermeisters zu kandidieren?

Ja, auf jeden Fall. Ich habe noch so viele Pläne. Natürlich ist man nie fertig, aber wir haben so viel angeschoben im Moment, es ist so viel in Entwicklung für die Stadt. Ich versuche, breitgefächert zu denken und möchte das auch in der Zukunft umsetzen. Nehmen wir beispielsweise das Thema möglicher Produktionsplätze hier in der Gegend. Da sprechen wir über Arbeitsplätze, Arbeitskräfte sowie deren Lebensbedingungen.

Um irgendwo zu wohnen und sich niederzulassen, muss die Infrastruktur stimmen. Das heißt, wenn beispielsweise junge Familien hierherziehen, muss für die Kinderbetreuung gesorgt sein. So haben wir das beispielsweise am Kap praktiziert: Bevor dort die Erschließung begann, war die dortige Kita bereits fertig gebaut. In dieser Art und Weise möchte ich fortfahren. So haben ansässige Unternehmen die Möglichkeit, Arbeitskräfte zu finden und zu binden.

Wie sieht es auf dem hiesigen Wohnungsmarkt aus?

Dieser ist angespannt, das muss ich sagen. Es gibt einen „Such-Druck“. Gerade für junge Menschen, die eine Familie gründen und die große Stadt (Leipzig) eventuell wieder verlassen wollen. Für die gibt es hier viele Möglichkeiten für ein friedliches Leben mit Kindern.

Wir haben hier die besten Voraussetzungen, die müssen wir pflegen. Gerade, was die Natur angeht. Es gibt hier den Zwenkauer See, den Elster-Auwald. Wir haben hier die Gewerbegebiete und über 63 Vereine, die das Leben ausmachen. Natürlich spielt auch die Nähe zur Stadt Leipzig eine Rolle. Sicher, mit einem Platten am Fahrrad kann es auch mal länger dauern …

Wie schätzen Sie Zwenkau in Hinblick auf das Thema „Nachhaltigkeit“ ein?

Ich bewerte die Situation hier als „gut“. Ich denke aber, wir müssen die Themen vernünftig und differenziert angehen. Das muss von innen heraus kommen. Die Maßnahmen dürfen nicht pauschal getroffen, sondern müssen an die Stadtstruktur angepasst werden. Was verbesserungswürdig ist, ist der Radverkehr.

In einem Ranking liegt die Stadt in puncto Fahrradfreundlichkeit eher im unteren Bereich. Natürlich tut so etwas weh, bietet aber definitiv Chancen zur Verbesserung. Größtenteils liegt das aber auch an der Ortsgeometrie: Zwenkau lag historisch an der ehemaligen Bundesstraße 2.

Entlang dieser Straße hat sich die Stadt entwickelt, es gibt kaum Ausweichmöglichkeiten. Darunter leidet an manchen Stellen in der Stadt auch die Infrastruktur, wo ein extra Fahrradstreifen beispielsweise einfach nicht möglich ist. Da müssen andere Lösungen gefunden werden – aber ich habe schon eine Idee. Die möchte ich auch noch gerne umsetzen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Auf dieser Seite sammeln wir alle Interviews, die wir auf unserer Bürgermeistertour21 mit den Bürgermeister/-innen der Kommunen im Leipziger Umland geführt haben.

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