Anfangs sah es noch so aus, als würde unsere neue Serie zu den Problemstellen im Leipziger Radwegenetz so etwas wie die Fortsetzung unseres Radwegetests von 2015 werden, also „Gefahrenstelle Nr. 33“ usw. Aber die vergangenen sechs Jahre haben auch gezeigt, dass es im Leipziger Radwegenetz eigentlich nicht um diese Problemstellen geht, sondern dass das Radnetz darunter leidet, dass es eigentlich keines ist. Und Leipzigs Verkehrsplaner nicht ansatzweise in einer sicheren Wegeführung für die Radfahrer/-innen denken.

Das hat historische Gründe. Aber es erzählt auch davon, dass die Förderung des Umweltverbundes in Leipzig jahrelang nichts anderes war als ein Schönwetterfähnchen, gern hochgehalten, wenn die Stadt irgendwo ein paar Preise abholen wollte, aber nie ehrliche Systematik in der Verkehrsplanung.Davon erzählte eigentlich auch der 2012 vom Stadtrat beschlossene Radverkehrsentwicklungsplan 2010 bis 2020, in dem über 100 Einzelmaßnahmen aufgelistet waren, mit denen das Leipziger Radnetz sicherer gemacht werden sollte, von denen aber – wie der ADFC 2020 vorrechnete – wieder nur 26 Prozent tatsächlich umgesetzt wurden.

Aber tatsächlich war es damals schon ein Trugschluss, das generelle Problem in Leipzig auf diese Weise entschärfen zu wollen, denn das, was im Radverkehrsentwicklungsplan als „HauptnetzRad“ verkauft wurde, war nichts, was diesen Namen je verdient hätte. Denn das Allerwichtigste fehlt bis heute: durchgehend sichere und separate Routen allein für Radfahrer.

Selbst wer die Hauptstraßen und die seit 2012 nach und nach aufgetragenen Radfahrstreifen nutzt, weiß es, dass er meist schon weit vor der nächsten Kreuzung ans Ende dieser Spuren kommt und sich in den Kfz-Verkehr einordnen soll. Sichere Furten an Kreuzungen gibt es nur wenige.

Und selbst wenn es brandgefährlich wird – wie an der Einmündung des Cottaweges – sträubt sich Leipzigs Verwaltung jahrelang, dem motorisierten Verkehr die nötige Fläche zu nehmen, um Radverkehr endlich wenigstens gleichwertig zu machen. Erst im Zuge der Corona-Pandemie hat man sich hier wieder zu einer halbherzigen Lösung durchgerungen.

Die komplette Jahnallee wäre ein Fall, hier wirklich eine durchgehende Radroute bis zum Goerdelerring anzulegen. Doch darum kämpfen Leipzigs Ratsfraktionen seit den dramatischen Verkehrsunfällen in der Inneren Jahnallee bislang vergebens. Ein Radstreifen auf dem Ranstädter Steinweg ist zwar in ferner Zukunft geplant. Aber vorher soll wohl auch hier erst noch ausgiebig geprüft werden.

Erst 2023 will die Verwaltung das Ergebnis der Prüfung für die Radverbindung Lindenau – Innenstadt vorlegen, ob das aus ihrer Sicht überhaupt machbar ist.

Was eigentlich alles aussagt darüber, wie Leipzigs Verwaltungsspitze über Radverkehr denkt. Um es noch freundlich auszudrücken: Sie steckt noch immer im Jahr 2006 fest und hat ihre Denkweise seither nicht geändert, nicht einmal durch den Stadtratsbeschluss zu einem Nachhaltigen Mobilitätsszenario, das neben dem ÖPNV auch einen massiven Ausbau des Radverkehrssystems vorsieht. Ob davon etwas im neuen Radverkehrsentwicklungsplan auftauchen wird, wissen wir nicht. Noch ist nicht einmal der Entwurf dazu öffentlich.

Und wenn er nicht den konsequenten Ausbau durchgehender Radrouten vorsieht, die wirklich den Radverkehr auf Augenhöhe mit dem motorisierten Verkehr bringen, ist er eh für die Katz. Denn ohne ein HauptnetzRad, das auch so gebaut ist wie ein Hauptnetz, wird es die überfällige Verkehrswende in Leipzig nicht geben.

Kristin Schlegel hat das mit einem einfachen Hinweis deutlich gemacht. Denn wer es glaubt oder nicht: Auch die Berliner Straße ist Teil des HauptnetzRad, doch wer von der Gerberstraße Richtung Rackwitzer Straße will, wird schon ab der Gerberstraße auf den Fußweg gelenkt und bekommt an der Kurt-Schumacher-Straße ein massives Problem.

Die Hauptnetz-Route auf der Berliner Straße (dunkelgrün) nördlich vom Hauptbahnhof. Karte: Stadt Leipzig
Die Hauptnetz-Route auf der Berliner Straße (dunkelgrün) nördlich vom Hauptbahnhof. Karte: Stadt Leipzig

Kristin Schlegel: „Mein Arbeitsweg führt über die Kreuzung der Parthenstraße zur Berliner Straße. Dort gibt es leider keinen Radweg. Ich werde dort oft von Autofahrer/-innen mit geringem Abstand überholt und an die Seite gedrängt, sodass ich nur auf den Fußweg ausweichen kann. Eine stressige Situation für alle Straßenteilnehmer/-innen.“

Es ist eben genau das, was in Leipzig an hunderten Stellen Normalität ist. Der Radverkehrsentwicklungsplan von 2012 sah das übrigens überhaupt nicht als Problem an, wie auf der abgebildeten Karte zu sehen ist: Die Route wird in Dunkelgrün als ganz normaler Teil des HauptnetzRad geführt, ohne rote oder lila Markierung als „Führungsform des Radverkehrs als Abweichung zu den Empfehlungen für den Radverkehr (ERA 2010)“.

Wahrscheinlich hat hier einfach die Farbe gefehlt, um die Nichtexistenz eines Radweges und die völlig fehlende Überleitung des Radverkehrs in die sich verengende Berliner Straße sichtbar zu machen.

Nach 2015 hat also die neue Rad-Reihe der LZ begonnen. Unter „Die Serie zum nicht existierenden HauptnetzRad in Leipzig: Problemstellen“ werden in den kommenden Tagen wieder jene Ecken der Stadt vorgestellt, wo ein normales Radfahren kaum möglich ist oder gar regelrechte Fallen für Radlerinnen drohen.

Senden Sie uns auch gern weiterhin Ihre „Lieblingsstellen“, wenn Sie per Rad unterwegs sind an redaktion@l-iz.de. Sehr gern mit Bild zur besseren Verdeutlichung des jeweiligen Problems.

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Es gibt 3 Kommentare

Eines habe ich noch vergessen: Das Tempo 30 Schild habe ich auf dem Foto zum ersten Mal wahrgenommen. Es scheint sehr ungünstig angebracht zu sein. Vielleicht liegt es daran, dass es höher hängt als üblich?

Die Berliner Straße ist auch ein Teil meines Arbeitswegs. Ich bin immer froh, wenn ich an der abgebildeten Stelle angekommen bin, und endlich wieder ein Stück auf der Fahrbahn fahren und meine Nerven schonen kann.
Vorher: erst der Radweg an der Runden Ecke mit vielen Einmündungen von Fußwegen hinter undurchsichtigen Hecken (im Winter ist es okay dort), dann die Fahrradstraße mit massenweise kreuzenden Fußgängern und Radfahrern, an deren Ende links abbiegen bei recht unübersichtlicher Situation in Richtung einer Ampel mit sehr kurzer Grünphase, die ggf. schon einmal die nötige Vorsicht vergessen lässt. Und am Schluss der Radweg in der Gerberstraße, wo an einer Verschwenkung die Sicht auf den weiteren Verlauf ebenfalls durch Büsche stark eingeschränkt ist. Dort müsste man auf Schrittgeschwindigkeit abbremsen, das macht natürlich niemand. Ich auch nicht.
Aber Sicherheit ist eben nicht alles. Und von der Gerberstraße kommend hat man als Rechtsabbieger viel öfter Grün als geradeaus von der Uferstraße…
Die Berliner Straße hat natürlich auch ihre Tücken. Allen voran das kurze Stück Radweg von der Nordstraße bis über die Kreuzung mit der Wittenberger. Der freie Rechtsabbieger mit sehr vielen Abbiegern am Ende über den Radweg hinweg bedeutet eine starke Gefährdung, welche durch das kurze Stück Trennung nicht kompensiert werden kann. Hier geht wieder Geschwindigkeit vor Sicherheit (auch für die Radfahrer – wenn dort Ampelrückstau ist).
Da der Radweg gleich hinter der Kreuzung endet, und damit keine durchgängige Führung darstellt, könnte er wenigstens als “anderer Radweg” anstatt verpflichtend beschildert werden. Und ob dort im Fußboden eingelassenen “Blendgranaten” nun endgültig abgeschaltet oder nur kaputt sind, ist auch offen…

Ich stimme dem Grundtenor des Artikels im Prinzip zu. Allerdings ist die Route Uferstraße-Parthenstraße-Berliner Straße gerade NICHT Teil des Hauptnetzes. Die ist nicht mal hellgrün oder rot, sondern gar nicht vorhanden. Dort gibt es nach dem Ende der Radspur an der Löhrstraße nur die eine Möglichkeit: mitten auf der Fahrspur den Autos zu signalisieren: Hier fahre ich, als gleichberechtigter Verkehrsteilnehmer und du musst hinter mir bleiben (vor allem beim Links-Rechts-Schlenker von Ufer- zu Parthenstraße). Auf der Berliner Straße taucht ein Radweg erst wieder in Höhe Erich-Weinert-Straße auf und bis dahin gilt es, die Autofahrer nicht durch zu weit rechts fahren dazu zu animieren, einen (am liebsten noch zweispurig) überholen zu wollen.
Ganz allgemein bin ich der Auffassung, dass wir ein sehr gutes “Radwegenetz” hätten: Die Straßen! Sie müssen nur nicht als prioritär den Autos vorbehalten gedacht werden, indem man immer und überall versucht, den Radverkehr zu separieren, sondern so gestaltet werden, dass Radfahrer sie sicher benutzen können. Das fängt bei durchgehend (in der ganzen Stadt, mit paar Ausnahmen) Tempo 30 an und geht weiter über für den Radverkehr reservierte Fahrspuren (dass das geht, zeigt z. B. die Zeppelinbrücke in der Jahnallee). Vierspurige “Autobahnen” in der Stadt braucht es nicht (z. B. die Rennstrecke Schleußiger Weg). Und die Ampelschaltungen sollten so sein, dass Radfahrer (auch ohne Rennrad) eine grüne Welle vorfinden und nicht die Autos… Etc. pp.

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