Wenn die Debatte um den Leipziger Zoo, die einstigen Völkerschauen und die „Hakuna Matata“-Shows etwas bewirkt hat, dann ein großes Stutzen. Selbst Mandatsträger, die sich vorher nie mit der kolonialen Vergangenheit der Stadt Leipzig beschäftigt haben, stutzten. Nicht alle. Stimmt. Manche wollen auch nicht verstehen, dass der heutige Rassismus deshalb so tief in unserem Denken und Reden steckt, weil dem Jahrhunderte des Kolonialismus vorausgingen. Oder besser: „Kolonialismus“.

Weshalb dieses Buch auch für viele sehr erhellend sein dürfte, die schon glauben, dieses Ding mit dem Rassismus verstanden zu haben. Aber es steckt tief in uns drinnen, in unserer Sprache, unserem Denken, unserem Blick auf die Welt. Und der ist ein weißer Blick. Oder: „weißer“ Blick.

Susan Arndt, Professorin für Literatur- und Kulturwissenschaft in Bayreuth, hat eine Menge Worte in diesem Buch nicht nur in Gänsefüßchen gesetzt, sondern auch kursiv geschrieben, mit Trigger-Warnungen versehen oder gleich mal durchgestrichen, um ihnen ihre Macht zu nehmen und deutlich zu machen, dass alle diese Worte kontaminiert sind, hochgradig belastet.

Was auch auf den Begriff „Weiße“ zutrifft.

Denn wir sehen meist nicht, dass der heutige Rassismus eine über 2.000 Jahre lange Vorgeschichte hat, die mit Macht und Demütigung zu tun hat, mit Versklavung und Entrechtung. Und mit der Konstruktion einer Hierarchie, in der sich europäische Kulturen selbst als Spitze der Pyramide definierten und die Abwertung anderer Menschen regelrecht einbauten in ihr Weltbild, ihr Verständnis davon, wie die Welt konstruiert ist.

Und das geht – wie Susan Arndt feststellt – bei den alten Griechen los, die eben leider nicht nur Vorläufer für lauter Dinge sind, auf die wir zu recht stolz sind (Demokratie, Philosophie, Wissenschaften …), sondern auch für das elitäre Denken, das seitdem fester Bestandteil der europäischen Sicht auf die Welt ist.

„Barbaren“ und „Primitive“

Und so reicht auch die rassistische Farbenlehre bis zu den antiken Griechen zurück, auch wenn das Weiß damals noch den „Barbaren“ im Norden zugeordnet wurde, das Schwarz freilich schon den Bewohnern Afrikas – und zwar von Anfang an in abwertender Bedeutung, wie Arndt anhand der Wortwurzeln sehr schön darstellen kann.

Die Farbzuordnungen haben sich im Lauf der Zeit zwar verschoben, aber die „Hautfarben“ wurden spätestens mit dem Christentum auch religiös aufgeladen. Was viele gar nicht mehr merken, wenn sie von Schwarzen und Weißen sprechen. Aber da diese Zuordnungen auch immer einen Rattenschwanz an Wertungen und Vorurteilen mit sich ziehen, wirkt dieser – falsche – Dualismus – bis heute.

Bis hin zu der Tatsache, dass wir hier im reichen Norden gar nicht mehr merken, wie wir die „weiße“ „Hautfarbe“ zur alles definierenden Norm gemacht haben – bis hin zu den „hautfarbenen Pflastern“ in der Drogerie, über die wir uns nicht einmal wundern, weil wir es für selbstverständlich halten, dass Haut normalerweise hell und blass ist. Obwohl es weltweit die Ausnahme ist.

Jahrhunderte in dieser gepflegten Überheblichkeit gegenüber einer Welt, die auch von viel gerühmten „Dichtern und Denkern“ als wild, primitiv, lernunfähig, unzivilisiert und unkultiviert definiert wurde, haben sich tief in unsere Sprache eingegraben. Denn auch wenn Deutschland erst spät offiziell in die Jagd nach Kolonien eintrat, war das koloniale Überheblichkeitsdenken schon vorher da.

Auch wenn es meist aus zweiter und dritter Hand stammte, so wie bei den Herren Kant, Hegel, Arndt, Fichte und Herder, die die Welt nie bereist haben, keinerlei eigene Erfahrungen mit den Menschen auf anderen Kontinenten hatten. Und trotzdem strickten sie in ihren Gelehrtenstuben ihre Theorien über die „Völker“ und „Rassen“, Theorien, die bis heute nachwirken.

„Entdecker“ und „Eingeborene”

Gerade Kant etablierte den aus dem Englischen übernommenen Begriff „Race“ im Deutschen. Schon das ein Vorgang, der sichtbar macht, wie die Vorstellungen über die Länder jenseits der Ozeane durch Übernahmen geprägt wurden, in denen die Vorurteile der Kolonialstaaten einfach unhinterfragt übernommen wurden.

Genauso wenig wie die Tatsache, dass es ab dem 15. Jahrhundert ganz allein europäische Staaten waren, die die Menschen auf anderen Kontinenten ihres Landes beraubten, sie unterdrückten, einfingen wie wilde Tiere, verkauften und zu Millionen umbrachten.

Mit Susan Arndt merkt man erst einmal, wie belastet selbst Worte wie „Entdecker“, „Neue Welt“ oder „Eingeborene / Ureinwohner / Aborigini“ sind. Sie kommen so unscheinbar daher, dass man sich tatsächlich erst in die Position der „Entdeckten“ versetzen muss, um die tiefverwurzelte „weiße“ Perspektive darin zu sehen – eine arrogante Sichtweise, die viel weiter reicht als das, was man für gewöhnlich als Rassismus begreift.

Es sind Konstruktionen der Abwertung und des Othering. Wobei dieses Festsetzen des anderen nicht nur bei den oberflächlich sichtbaren Merkmalen stehen bleibt (die zumeist Grundlage dessen sind, was als pseudowissenschaftliche „Rassenkunde“ praktiziert wurde).

Den zu „Primitiven“ und „Naturvölkern“ Erklärten werden gleich noch Eigenschaften zugeschrieben, die diese Menschen aus Sicht der alten und neuen Kolonisatoren gleich als ganze Gruppe für unterlegen, nicht ebenbürtig und dem ach so überlegenen Europäer nicht konkurrenzfähig erklären. Bis heute.

Denn der offene Kolonialismus, mit der militärischen Unterwerfung ganzer Kontinente, ist zwar größtenteils verschwunden, auch wenn er sich in willkürlichen Grenzziehungen bis heute auf der Landkarte abbildet. Aber die ökonomische Ausbeutung der einstmals unterworfenen Länder geht unvermindert weiter.

Die Ausplünderung geht weiter

Auch mit Freihandelsverträgen drücken die Staaten des Westens/Nordens den Ländern im Süden ihre Macht auf und sorgen deren Konzerne dafür, dass die Plünderung dieser Länder unvermindert weitergeht. Meist auch kaschiert mit der ideologischen Selbsterhöhung, mit der sich westliche Staaten für berechtigt halten, die Länder des Südens auszubeuten und ihnen ihre Vorstellungen von Marktmacht aufzubürden.

Womit man so nebenbei auch bei den Triebkräften des Kapitalismus ist und den Grundlagen des Reichtums des – weißen – Nordens, der nicht einmal ansatzweise verstehen will, wie sehr sein Wohlstand bis heute auf der Ausplünderung der Länder im globalen Süden beruht.

Das verstecken die Bewohner dieses Nordens eben auch in der Sprache. Und man ist doch verblüfft und erschrocken zugleich, wie sehr diese alte koloniale Perspektive in Worten steckt, die man fast gedankenlos schon verwendet hat – und damit sind nicht die längst so heftig diskutierten N.- und M.-Worte gemeint. Obwohl die ein ganz zentraler Bestandteil der – europäischen – Definition etwa von „Orient“ und Okzident, Morgen- und Abendland sind.

Aber die koloniale Sicht steckt auch in „Tropen“ und „Schwarzafrika“, in „Mischling“, „Mulatte“, „Eskimo“ oder „Buschmann“. Alles Worte – wie Arndt feststellt –, die in großen deutschen Zeitungen, Magazinen und Sendern immer wieder wie selbstverständlich benutzt werden.

Natürlich oft aus reiner Gedankenlosigkeit. Denn wenn man über den Kolonialismus und die Sprache der Kolonisatoren nie wirklich nachgedacht hat, fällt einem gar nicht auf, welche Sichtweise und welche Abwertung diese Worte in sich tragen.

Man hält sie für normal. Und aus gutem Grund diskutiert Arndt auch die Schwierigkeiten der großen deutschen Wörterbücher, diese schwer belasteten Wörter überhaupt zu markieren und in einen rassistischen Kontext zu stellen.

„Primitive Stammesgesellschaften“ und „Kulturnationen“

Das geht selbst bei Wörtern weiter, die man – wenn man eifriger Karl-May-Leser war – immer wie selbstverständlich benutzt hat, ohne zu ahnen, wie viel Verachtung die – weißen – Wortschöpfer in diese Worte gepackt haben. Das geht beim Wort „Indianer“ los und hört bei Worten wie „Häuptling“ und „Stamm“ nicht auf. Natürlich stutzt da so mancher. Seit wann sind diese Worte rassistisch?

Susan Arndt erklärt es sehr genau in dem zentralen „A-Z Kolonialer Begriffsgeschichten“, das sie in den Mittelpunkt ihres Buches gestellt hat. Und was man natürlich erst richtig versteht, wenn man auch die vorangestellten Kapitel zur Geschichte des Kolonialismus und dem Rassismus als „ideologischem Schwert des Kolonialismus“ gelesen hat.

Und damit auch, wie sehr der damit verbundene Rassismus auch in unserer Gesellschaft institutionell verankert ist. Von den Vorurteilen über scheinbar „primitive Stammesgesellschaften“ und ihre Unfähigkeit, die hohe Stufe von Zivilisation und Kultur der edlen „Kulturbringer“ aus dem Norden zu erreichen, bis hin zu den Abwehrmechanismen, mit denen auch beleidigte „Dichter und Denker“ von heute sich dagegen verwahren, rassistisch zu denken und zu sprechen. Wenn es ihnen ins Gesicht gesagt wird, reagieren sie meistens beleidigt.

Was natürlich auch erklärbar ist, denn die Diskussion über die Rassendiskriminierung bis in die Sprache hinein, die haben zumeist die Betroffenen selbst angestoßen. Sie haben ja erfahren, wie Diskriminierung und Abwertung wirkt – und damit auch dieser stille, von den weißen Sprechern nicht mal bemerkte Rassismus, der vielleicht wirklich nichts mit dem wütenden Rassismus der Rechtsradikalen zu tun hat.

Und dennoch ist diese Diskriminierung zu spüren, erleben es die Betroffenen bei Ausländerbehörden, bei der Wohnungssuche, bei der Begegnung mit der Polizei, in Politikerreden und Medienberichten.

Das rassistische Erbe des Faschismus

Sie werden – oft allein aufgrund ihres Namens oder ihres Aussehens – einfach in eine von außen definierte Gruppe subsumiert, oft noch genau mit denselben Vorurteilen, mit denen diese Gruppen im Faschismus verfolgt wurden. Und natürlich hat Arndt recht, wenn sie den Deutschen bescheinigt, dass sie sich nach dem Ende des NS-Reiches mit wesentlichen Teilen des damals institutionalisierten Rassismus nicht wirklich auseinandergesetzt haben.

Was man aber nicht beim Namen nennt, das wirkt fort, das wabert in den Alltagsgesprächen und in den Blasen der Verschwörungstheoretiker weiter, in Boulevardsendungen und -zeitungen.

Manchmal auch in einer Sparte, die man die Exotisierung des Fremden nennen kann – von der die Romantik ihre Lieder zu singen wusste und Generationen von Abenteuerschriftstellern ihre Stoffe bezogen. Denn auch der „edle Wilde“ (den man bei Daniel Defoe genauso findet wie bei James Fenimore Cooper) ist eine Konstruktion des sich für überlegen erklärenden Weißen, der gerade systematisch dabei war, die Kulturen der von ihm „entdeckten“ „Wilden“ auszurotten. Eine Weltsicht, die bis heute in Filmen über den „Wilden Westen“ am Leben erhalten wird.

Und auch über die „Naturverbundenheit“ dieser Menschen hat Susan Arndt so einiges zu sagen. Da dürfte auch einigen, die nicht verstehen wollen, warum die exotischen Shows im Leipziger Zoo nichts zu suchen haben, vielleicht das eine oder andere Auge aufgehen. Spätestens bei der eigentlich angelernten Entgegensetzung von „Naturvölkern“ und „Kulturvölkern“.

Wer dazugehören soll und wer nicht

Und dass selbst das Wort Volk eine geballte Ladung Rassismus enthält, erfährt man natürlich auch im entsprechenden Kapitel. Doch es steht mit all seiner Belastung genauso im deutschen Grundgesetz wie das Wort „Rasse“. Als wäre den Vätern und Müttern des Grundgesetzes damals schlicht unmöglich gewesen, diese schwere Kontamination zu erkennen und andere Formulierungen zu finden.

Was durchaus nicht schwer ist, wenn man die Bedeutung des Wortes tatsächlich einmal genauer betrachtet – und seine Konstruktionen derer, die dazugehören, und derer, die verbal bis heute immer wieder als nicht dazugehörig definiert werden. Ganz zu schweigen von der engen Verbindung, die der Begriff vom „Volk“ (und vom „Blut“) in der Rassentheorie der Nationalsozialisten mit Begriffen wie „Rasse“, „Raum“ und „Reinblütigkeit“ eingegangen ist.

Diese alte NS-Definition lebt ja in den politischen Äußerungen der deutschen Rechtsextremen bis heute fort. Und in den Köpfen vieler Menschen, die über die verschiedenen Bedeutungsebenen von „Volk“ nie nachgedacht haben, lebt das ebenso fort.

Susan Arndt zeigt es am radikalen Bedeutungswandel, den das Wort „Volk“ durchgemacht hat, als über Nacht aus dem Demo-Ruf „Wir sind das Volk“ (also die einfachen Leute) der Ruf „Wir sind ein Volk“ wurde (also ein einziger „Volkskörper“).

Was ja bekanntlich einige Folgen hatte, die das alte Unwesen des rassistischen Denkens und Handelns wieder zum medialen Themna machte – man denke nur an die Ereignisse in Hoyerswerda und Rostock und den uneingestandenen Rassismus deutscher Politiker, die dann lieber die Zuwanderungsgesetze verschärften und damit die latenten rassistischen Vorurteile bestärkten, die bis heute die halbseidene Zuwanderungspolitik in Deutschland bestimmen.

Rassismus erzeugt Machtgefälle

Was natürlich damit zu tun hat, dass diejenigen, die von Rassismus und (Neo-)Kolonialismus profitieren, in der Regel gar nicht sehen, wie sie von beidem profitieren und wie darin ein massives Machtgefälle stabilisiert wird. „Rassismus kümmert es nicht, ob eine Person rassistisch diskriminiert werden möchte“, schreibt Arndt.

„Genauso wenig ist Rassismus daran gebunden, ob jemand rassistisch diskriminieren oder durch ihn privilegiert sein möchte. Zu behaupten, davor gefeit zu sein, ist ein Weglaufen vor der Verantwortung, sich der sozialen Position im Rassismus verantwortlich zu stellen.“

Sich der Kontamination vieler Worte bewusst zu werden, ist ein Anfang. Vielleicht manchmal auch ein verstörender, weil dieses Bewusstwerden eben auch zeigt, wie sehr wir – einfach, indem wir in die Kultur Europas hineingewachsen sind – die Sichtweise der Kolonisatoren auf die Welt verinnerlicht haben.

„Bei Rassismus handelt es sich nicht um eine Meinung, sondern um eine handfeste Herrschaftsstruktur, die aus der Tiefe einer Machtgeschichte heraus diskriminiert“, stellt Susan Arndt fest. „Das ist ein kollektives Erbe, das damit auch Angelegenheit aller Individuen ist, die von ihm profitieren – weswegen Privilegierte in der Verantwortung stehen, Rassismus zu sehen, zu besprechen und zu bekämpfen.“

Das kann man nicht allein den BIPoC (Black, Indigenous, and People of Color) aufbürden, da ja aus der Position des Betroffenseins heraus agieren und schlicht nicht so tun können, als gäbe es keinen Rassismus. Und da Susan Arndt schon einmal zu einem wesentlich aufmerksameren Umgang mit Sprache mahnt, hat sie auch ein ganzes Kapitel angefügt, in dem das respektvollere Sprechen thematisiert wird.

Was natürlich nicht einfach ist, denn damit wird die ganze Vielschichtigkeit des Themas ja erst sichtbar und die schlichte Tatsache, dass man Menschen eben nicht einfach in bestimmte Container packen kann, weil man denkt, die wären sowieso alle gleich.

Es gibt schon eine ganze Menge Wortfügungen, die das sichtbar machen, manche auch noch deutlich im Fluss. Aber dazu kommt natürlich auch, dass Deutschland ein Land ist, in dem die Diskussion um diese rassistische (Vor-)Belastung erst sehr spät begonnen hat. Was auch damit zu tun hat, dass die eigene koloniale Vergangenheit jahrzehntelang einfach ausgeblendet wurde.

Aber seit ein paar Jahren wird das endlich thematisiert. Was natürlich vor allem Leute verunsichert, die immer in der Überzeugung gelebt haben, sie hätten gar kein Problem mit dem Rassismus, das ginge sie also gar nichts an. Und auf einmal sitzen sie auf dem Podium und versuchen eine Haltung zu verteidigen, die schlicht nicht zu halten ist.

Susan Arndt Rassistisches Erbe Dudenverlag, Berlin 2022, 22.

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