Es ist ein einzigartiger Ausstellungsort, der ab jetzt in der Jahnallee wieder besucht werden kann, nachdem er zwei Jahre lang nur noch zu besonderen Öffnungszeiten besichtigt werden konnte: das Capa-Haus mit der kleinen Fotoausstellung zum legendären Kriegsfotografen Robert Capa (1913–1954) und seiner Leipziger Fotoserie rund um den „Letzten Toten des Krieges“. Der inzwischen einen Namen hat. Auch das ist ein Verdienst all der Akteure rund um das gerettete Capa-Haus.

Womit in diesem Fall das ganze präsentable Wohnhaus Jahnallee 61 gemeint ist, das 2011 direkt vor dem Abriss stand. Und das alarmierte gleich eine ganze Gruppe von Menschen, die um die einzigartige Geschichte dieses Hauses wussten.

Oder genauer: um die Entstehungsgeschichte jener Fotoserie, die Robert Capa am 18. April 1945 festhielt, als sich die US-Army von Westen kommend zur Zeppelinbrücke durchkämpfte. Ein scheinbar leichter Vormarsch, dem aber an diesem Tag der Soldat Raymond J. Bowman zum Opfef fiel, als er mit seinem MG-Partner Lehman Riggs das Maschinengewehr auf dem Balkon des Hauses Jahnallee 61 aufbaute und nicht damit rechnete, dass es noch Heckenschützen geben könnte.

Ein erschütterndes Fotomotiv

Robert Capa hielt diese Szene fest. Das Foto wurde legendär. Und 2011, als sich die Aktiven der späteren Bürgerinitiative Capa-Haus erstmals deutlich zu Wort meldeten, war noch nicht absehbar, dass einmal nicht nur der Name des getöteten Soldaten bekannt werden sollte (nach dem heute eine kleine Straße gegenüber benannt ist), sondern auch der andere MG-Schütze Leipzig noch im hohen Alter besuchen würde, um zu erzählen, was er damals selbst erlebt hat.

Fotoaufnahme von Robert Capa: Last man to die. Foto: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig
Robert Capa: Last man to die. Foto: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig

2012 kam Lehman Riggs nach Leipzig zu Besuch, 2016 dann noch einmal, als die Bowman-Straße ihren Namen bekam. Aber da war auch das Haus Jahnallee gerettet, war von der Stadt notgesichert worden und von Investor Horst Langner gekauft wurden, um daraus wieder ein präsentables Wohnpalais zu machen. Mit Café im Erdgeschoss und der kleinen Capa-Austellung, die ab 2016 besichtigt werden konnte.

Es gibt keinen anderen Ort in Leipzig, an dem Geschichte so hautnah am Ort des Geschehens erlebt werden kann. Die Kulissen für Capas Bilder sind gleich draußen vorm Haus zu sehen. Auch der Balkon ist identifizierbar.

Ein Café musste schließen

Doch mitten in der Corona-Zeit erwischte es den Gastwirt, der bis dahin ermöglicht hatte, dass die kleine Ausstellung „War is over“ besucht werden konnte. Das Café Eigler musste schließen. Und die Bürgerinitiative Capa-Haus und das Stadtgeschichtliche Museum als Träger der kleinen Ausstellung mussten neue Wege suchen, diesen besonderen Austellungsort zu retten.

Die Lösung wurde am Dienstag, dem 5. September, vorgestellt.

Ermöglicht wurde der Neubeginn auch durch einen Stadtratsbeschluss zum Konzept Leipziger Erinnerungskultur, das auch Mittel beinhaltet, solche unkonventionellen Erinnerungsorte wie den in der Jahnallee 61 zu sichern. In diesem Fall dadurch, dass die Stadt die Räume des Cafés anmietete und an eine gemeinnützige GmbH untervermietet.

Als lebendiger und offener Ausstellungs-, Veranstaltungs- und Begegnungsort präsentieren sich hier nun das Stadtgeschichtliche Museum, der Verlag Hentrich & Hentrich, die Initiative Capa-Haus und die neu gegründete Capa Culture gGmbH in einem erinnerungskulturellen Verbund, bei dem nicht nur Robert Capa, sondern auch seine Partnerin, die bereits 1937 im spanischen Bürgerkrieg ums Leben gekommene (Kriegs-)Fotografin Gerda Taro, im Fokus steht.

Erinnerungsort an kritische Zeiten

„Der Leipziger Stadtrat hat mit seiner Beschlussfassung anerkannt, dass die Rettung, Sanierung und Öffnung des 2011 bereits zum Abriss vorgesehenen Capa-Hauses eine bürgerschaftliche Großtat war, die in der Öffentlichkeit als ein Musterbeispiel für eine lebendige kommunale Erinnerungskultur gilt“, sagt Dr. Anselm Hartinger, Direktor des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig.

„Mit der nun gegebenen langfristigen Erhaltungsperspektive können wir im Verbund der Akteure diesen wichtigen Erinnerungsort zukunftsweisend profilieren und dabei auch strukturell neue Wege der Betreibung und Veranstaltungsplanung beschreiten. Im Reigen der Themenhäuser des Stadtgeschichtlichen Museums hat genau ein solcher Ort der gelebten Partizipation und der Erinnerung an Krieg, Befreiung und NS-Herrschaft gefehlt. Wir leisten damit einen gewichtigen Beitrag für den von Themen der neuzeitlichen Stadtentwicklung, des Widerstandes und der sozialen Bewegungen geprägten Geschichtsraum im Leipziger Westen.“

„Der ‚Erinnerungsort Capa-Haus‘ kann im besten Fall modellhaft für eine erfolgreiche Partnerschaft von öffentlichen und privaten Akteuren auf Augenhöhe werden. Die CAPA Culture gGmbH verantwortet seine Veranstaltungen und Sonderausstellungen. Der ebenfalls hier ansässige Hentrich & Hentrich Verlag für jüdische Kultur und Zeitgeschichte unterstützt das Projekt sowohl fachlich als auch personell. Das Stadtgeschichtliche Museum Leipzig kuratiert und entwickelt die Dauerausstellung.

Wir verstehen den ‚Erinnerungsort Capa-Haus‘ als Raum kritischer Geschichtsarbeit, wo neben dem Ende des Zweiten Weltkrieges, des Nationalsozialismus und deren Aufarbeitung auch Widerstand, Resilienz und der Kampf um Demokratie aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet werden, wobei der fotografische, jüdische und auch weibliche Blick besondere Aufmerksamkeit erfahren sollen“, sagt Dr. Nora Pester, Verlegerin des Hentrich & Hentrich Verlags und zugleich Gesellschafterin der neu gegründeten CAPA Culture gGmbH.

Das heißt: Der Verlag arbeitet nicht nur in den Räumen zur Capa-Straße hinaus, er ermöglicht auch in der Woche von Dienstag bis Freitag jeweils von 11 bis 16 Uhr, dass die Ausstellung für die Öffentlichkeit zugänglich ist. Das habe man sogar schon ausprobiert, auch wenn es noch nicht offiziell war, erzählt Nora Pester, die mit ihrem Verlag im Juni aus dem Haus des Buches in die neuen Räume umzog.

Und da auch ihr Verlagsprofil die Zeitgeschichte (insbesondere die jüdische Geschichte) im Fokus hat, erlebt sie den neuen Verlagssitz auch als spannenden Ort, an dem zeitgeschichtliches Engagement für die Öffentlichkeit erlebbar wird.

Erinnerung an Krieg und Frieden

An den oben genannten Tagen ist das Capa-Haus Leipzig dauerhaft wieder geöffnet. „Damit steht eine der wichtigsten Leipziger Erinnerungsstätten an die NS-Herrschaft und Befreiung 1945 sowie an das Themenfeld Krieg und Frieden der Öffentlichkeit wieder zur Verfügung“, betont das Stadtgeschichtliche Museum, das hier in Kooperation mit der Bürgerinitiative und dem Verlag Hentrich & Hentrich eine unverwechselbare Ausstellung retten konnte.

Zusätzlich zu den Öffnungszeiten in der Woche gibt es auch weiterhin an jedem dritten Sonntag im Monat – gesichert durch die Bürgerinitiative – abgesicherte Öffnungszeiten von 11 bis 16 Uhr.

Am Tag des offenen Denkmals am 10. September ist die Ausstellung ebenso geöffnet.

Erste Veranstaltungen in den Räumen stehen auch schon fest. Auf eine freut sich Kabarettist Meigl Hoffmann, der sich von Anfang an für die Rettung des Hauses engagierte, besonders: Dann wird in den Ausstellungsräumen der 110. Geburtstag von Robert Capa gefeiert.

Wobei Ulf-Dietrich Braumann von der Initiative Capa-Haus besonders auf den neuen Sonderausstellungsteil hinweist, mit dem jetzt auch Robert Capas Lebensgefährtin Gerda Taro gewürdigt wird. In Leipzig aufgewachsen, war auch sie eine gefragte Fotografin, als sie 1937 im Spanischen Bürgerkrieg zu Tode kam. Leihgaben der Evangelischen Akademie Wittenberg machen diesen Sonderausstellungsteil möglich.

Und anders als andernorts vermeldet, wurde die Capa-Ausstellung nicht vollkommen erneuert. Dazu war sie selbst viel zu professionell angelegt und zeigt genau das, was an diesem Ort gezeigt werden sollte. Wer die Ausstellung besucht, wird also weiterhin genau die Bilder sehen, die den Krieg so zeigen, wie er ist. Heute scheinbar durch Fernsehen und Internet allgegenwärtig. Damals waren es Fotografen wie Capa, die die Bilder aus dem Kriegsgeschehen in die Magazine brachten.

Dass der Krieg in der Ukraine diese Bilder wieder hochaktuell macht, konnte Anselm Hartinger dabei auch anmerken. Auf einmal hat auch die Arbeit des Stadtmuseums wieder einen extrem starken Bezug zur Gegenwart. Auch wenn das neue „War is over“ noch weit ist.

Die Rettungsgeschichte des Capa-Hauses

Der historische Ort war nach jahrelangem Leerstand, Verfall und mehrfachem Besitzerwechsel in extrem schlechtem baulichen Zustand, sodass im Jahre 2011 eine Abrissgenehmigung erteilt worden war. Als der Dachstuhl des Nachbarhauses in der Silvesternacht 2011/12 Feuer fing, schien das Schicksal des Gebäudes endgültig besiegelt zu sein. Ab Ende 2011 entfaltete die Bürgerinitiative öffentlichkeitswirksame Aktivitäten zum Erhalt des Gebäudes. Eine erste Notsicherung durch das Bauamt der Stadt Leipzig erfolgte.

Im September 2012 wurde das Haus an die L&S-Immobiliengruppe verkauft, die eine Notsicherung durchführte. Die Stadt Leipzig betonte ihr Interesse am Erhalt des Hauses. Die L&S-Immobiliengruppe reichte einen Bauantrag zur Sanierung ein, der im Juni 2013 genehmigt wurde. Nach der aufwendigen Planungsphase begann 2014 die denkmalgerechte Rekonstruktion des Hauses und der beiden Nachbargebäude, in denen 40 Wohnungen und Gewerbeeinheiten entstanden.

Die Fotos von Robert Capa

Kaum ein Gebäude erinnert authentischer an die Befreiung Leipzigs vom Nationalsozialismus als das Eckhaus Jahnallee 61 im Leipziger Westen. Hier entstand die weltbekannte Fotoserie „Last Man to Die“ des amerikanischen Kriegsfotografen Robert Capa, der am 18. April 1945 den Tod des jungen Soldaten Raymond J. Bowman dokumentierte. Als aufrüttelndes Zeugnis der Opfer von Krieg und Befreiung ging dieses vom Time Magazine veröffentlichte Bild um die Welt.

Die Bilder entstanden bei Kämpfen zwischen der anrückenden 2. Infanteriedivision der US Army und deutschen Soldaten, die am Elsterflutbecken letzten Widerstand leisteten. Erst Jahrzehnte später, um den Jahreswechsel 2011/12, führten Nachforschungen der Bürgerinitiative Capa-Haus zur Identifizierung des toten amerikanischen Soldaten. Mit Lehmann Riggs konnte zudem ein amerikanischer Zeitzeuge gefunden werden, der in unmittelbarer Nähe den Tod seines Kameraden erlebte.

Der Ausstellungsort: Capa-Haus, Jahnallee 61, 04177 Leipzig

Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag: 11-16 Uhr
Jeder 3. Sonntag im Monat: 11-16 Uhr

Eintritt: frei. Führungen auf Anfrage.

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