Die östliche Rietzschke ist ein echtes Sorgenkind. Auf vielen Kilometern ist sie komplett in der Kanalisation verschwunden und im Straßenbild nur noch rudimentär zu erfahren, an anderer Stelle versickert ihr Wasser, sieht sie nur noch aus wie ein trockener Graben. Nun wurde wenigstens ein Teilstück wieder sichtbar und erlebbar gemacht. Am Donnerstag, 12. Mai, wurde die sogenannte Rietzschke-Aue in Sellerhausen der Öffentlichkeit übergeben.

Nach anderthalb Jahren Bauzeit ist auf rund 18.000 Quadratmetern damit auch eine neue öffentliche Grünfläche entstanden. Die sogenannte Rietzschke-Aue Sellerhausen erhöhe den Freizeit- und Aufenthaltswert und erfülle wichtige Funktionen für das Stadtklima, die Biodiversität und den Hochwasserschutz, teilen die beiden beteiligten Dezernate Umwelt, Klima, Ordnung und Sport sowie Stadtentwicklung und Bau mit.

„Mit der Rietzschke-Aue Sellerhausen haben wir eine neue multifunktionale Grünfläche in Leipzig mit besonderen Qualitäten“, betont Leipzigs Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal.

„Sie soll die Auswirkungen von Starkregen und Hitzeperioden mindern und mit dem Artenschutzturm und besonderen Landschaftsstrukturen die Artenvielfalt erhöhen. Gleichzeitig ermöglicht sie Naturerlebnis und freies Spielen, bietet naturnahe Aufenthaltsbereiche und verbessert die Wegeverbindungen im Quartier.“

Blick über die neu gestaltete Rietzschke-Aue. Foto: LZ
Blick über die neu gestaltete Rietzschke-Aue. Foto: LZ

Einen öffentlichen Weg durchs Gelände gibt es auch, wie Baubürgermeister Thomas Dienberg betont: „Ich freue mich, dass die Fußgänger und Radfahrer im Leipziger Osten nun auf kurzen Wegen, umgeben von Natur, von Volkmarsdorf nach Anger-Crottendorf gelangen können. Auch die Anbindung an den ÖPNV wurde für die Menschen aus Anger-Crottendorf verbessert. Zudem wird die Quartiersschule Ihmelsstraße den neugewonnenen Freiraum als grünes Klassenzimmer nutzen können.“

Ein alter Problemknotenpunkt

Im Rahmen des gemeinsam initiierten Projektes zwischen der Stadt Leipzig und den Leipziger Wasserwerken wurde der Gewässerverlauf der Östlichen Rietzschke zumindest in diesem Abschnitt der alten Gartenanlage offengelegt und als natürlich erlebbarer Bachlauf und Naturerfahrungsraum gestaltet.

Die Grünfläche ist so angelegt, dass anfallendes Regenwasser lokal aufgenommen und gespeichert werden kann. Zeitverzögert und reguliert wird es über ein Ablassbauwerk in den Wölbkanal der Östlichen Rietzschke geleitet.

Damit soll ein ausreichender Abfluss bei Starkregenereignissen und gleichzeitig ein möglichst naturnaher Wasserhaushalt in der Rietzschke-Aue Sellerhausen sichergestellt werden. Der Östlichen Rietzschke wird damit ein Teil ihres natürlichen Überschwemmungsgebietes zurückgegeben.

Denn ein Auslöser für das Projekt war das Junihochwasser 2013, als das angestaute Regenwasser nicht in den schmalen Ablauf in die Mischwasserkanalisation ablaufen konnte und eine größere Überschwemmung ausgelöst wurde.

Ein künstlich gestaltetes Bachbett im Gelände: Hier könnte die Freilegung der Östlichen Rietzschke künftig einmal weitergehen. Foto: LZ
Ein künstlich gestaltetes Bachbett im Gelände: Hier könnte die Freilegung der Östlichen Rietzschke künftig einmal weitergehen. Foto: LZ

Das Problem haben schon unsere Vorfahren erzeugt, die – um neues Bauland im Leipziger Osten zu gewinnen – genau an dieser Stelle die alte Rietzschke von ihrer ursprünglichen Aue abschnitten und ihr Wasser in die Kanalisation ableiteten. Normalerweise würde der Bach weiterfließen bis zur Parthe, die ja ebenfalls mehrfach umverlegt wurde.

Die häufigen Überflutungen der angrenzenden Kleingärten durch den ehemaligen Bachlauf der Östlichen Rietzschke waren an der Anlass für die Neugestaltung des Geländes. Dieser Bach verlief zudem auch in seinem östlichen Abschnitt zu großen Teilen verrohrt oder überbaut als Entwässerungsgraben Sellerhausen und konnte anfallendes Wasser bei Starkregen nur bedingt ableiten.

94 Kleingärten mussten weichen

Zunächst wurden 94 hochwassergefährdete Nutzgärten gemeinsam mit dem Kleingartenverein Leipzig-Sellerhausen e. V. und unterstützt durch die Leipziger Wasserwerke freigelenkt. Umfassende Abstimmungen und Planungen mit dem Kleingartenverein Leipzig-Sellerhausen e. V., der Stadtpolitik sowie den Bürgerinnen und Bürgern waren der Baumaßnahme vorausgegangen.

Wirklich gelöst ist das Problem noch nicht, denn es ist ein Unding, das Wasser der Rietzschke einfach durch den Abwasserkanal ins Klärwerk Rosenthal zu schicken. So gesehen ist es schon ein deutlicher Fortschritt, wenn auf der neu gestalteten Fläche jetzt deutlich mehr Wasser zurückgehalten werden kann.

Der Zulauf zum Abwasserkanal ist zudem jetzt steuerbar und kann bei Starkregen deutlich vergrößert werden, sodass die Überschwemmungsgefahr in die umliegenden Straßen sich verringert.

Dr. Ulrich Meyer, Technischer Geschäftsführer der Kommunalen Wasserwerke Leipzig GmbH, erklärt dazu: „Die wassersensible Stadtentwicklung mit einem höchstmöglichen Rückhalt und einer Nutzung des Regenwassers am Ort des Anfalls ist eines der zentralen Zukunftsthemen zur Anpassung an den Klimawandel. Wir freuen uns, dass mit diesem Gemeinschaftsprojekt eine multifunktionale Grünfläche geschaffen wurde, die in diesem Zusammenhang beispielhaft ist.“

Der Artenschutzturm im Gelände bietet Insekten, Vögeln und Fledermäusen einen Unterschlupf. Foto: LZ
Der Artenschutzturm im Gelände bietet Insekten, Vögeln und Fledermäusen einen Unterschlupf. Foto: LZ

Mehr als 90 neue einheimische sowie klimaangepasste Bäume und eine Vielzahl an Strauch- und Kletterpflanzen komplettieren die naturnahe und zurückhaltend gestaltete Wasserrückhalte- und Grünfläche. Die Landschaftsgestalter, die auch beim benachbarten Schulbauprojekt Schulcampus Ihmelsstraße tätig waren, haben hier versucht, Pflanzen einzubringen, die an den Überschwemmungsstandort möglichst gut angepasst sind.

Ein vorhandenes geschütztes Biotop wurde behutsam integriert und während der Bauphase entsprechend geschützt. Weitere besondere Elemente der Fläche sind eine große Blumenwiese mit regionalen Saatgutmischungen zur Förderung der Insekten- und Artenvielfalt, Sandlinsen mit Totholz als ergänzendes Angebot für sandliebende Insekten, Baumstämme zum Balancieren, Verstecken und Spielen.

Zusätzlich wurde ein künstlerisches Objekt als Artenschutzturm auf der Fläche errichtet, der Quartiere und Nischen als Nist- und Lebensstätte für verschiedenste Tierarten bietet. In Kooperation mit dem NABU Regionalverband Leipzig, dem GeoWerkstatt Leipzig e. V. und den beauftragten Fachbüros entstand mit dem Artenschutzturm eine individuelle Landmarke als identitätsstiftendes Objekt für den neuen Naturraum inmitten der Stadt.

Finanziert wurde die Maßnahme über die Richtlinie zur Gewährung von Zuwendungen zur Beseitigung der Hochwasserschäden 2013 des Freistaates Sachsen mit rund 1.000.000 Euro. Ein weiterer Teil wurde mit rund 400.000 Euro vom Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE) finanziert. Auch die Krostitzer Brauerei unterstützte das Projekt im Rahmen der Aktion „Wahre Helden packen’s an“ mit rund 65.000 Euro für den Artenschutzturm und die Sandlinsen.

Im Video unter anderem mit Redebeiträgen von Rüdiger Dittmar (Leiter Amt für Stadtgrün und Gewässer), Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal, Baubürgermeister Thomas Dienberg  und Dr. Ulrich Meyer (Technischer Geschäftsführer der Leipziger Wasserwerke)

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