Seit einigen Jahren spielt auch die empfundene Lärmbelastung eine wesentliche Rolle in jeder Bürgerumfrage. Und für die Umfrage 2020 wäre ja spannend gewesen, ob die Leipziger/-innen die Stadt endlich mal als etwas ruhiger wahrgenommen haben, wo doch der Verkehr gerade im Frühjahr mal deutlich zurückgegangen war. Aber Pustekuchen war: Wer vorher schon unter Verkehrslärm litt, wurde auch 2020 nicht verschont.

Die einzige Verkehrsart, bei der der Lärm seit 2015 spürbar abgenommen hat, ist die Eisenbahn. Augenscheinlich haben die Lärmschutzmaßnahmen bei der Bahn dazu geführt, dass der Kreis der Betroffenen von 7 auf 3 Prozent abgenommen hat.Alle anderen Zahlen erzählen eigentlich davon, dass Leipzigs Lärmaktionspläne praktisch gar keine Effekte haben. Sie sind nur Kosmetik und ändern an den Lärmproblemen im Verkehr so gut wie gar nichts.

Fühlten sich 2015 schon 23 Prozent der Leipziger/-innen durch Kfz-Lärm stark bis sehr stark belastet, so lag dieser Wert im Corona-Jahr 2020 bei 24 Prozent. Wobei eine in diesem Fall wichtige Auswertung fehlt, denn Leipzigs Statistiker/-innen haben die Lärmbelastung nur nach Stadtbezirken aufgegliedert. Da sieht es dann so aus, als wäre der Kfz-Lärm fast im ganzen Stadtgebiet gleichermaßen stark.

Aber wer die Lärmkartierung der Stadt kennt, weiß, dass der Verkehrslärm vor allem an den Hauptverkehrsstraßen hoch ist, wo die Fahrzeuge richtig Speed geben können. Denn laut sind in der Regel nicht die Motoren selbst, sondern die Fahrweise, die bei hohen Beschleunigungen den Lärm erzeugt, der das Leben an den Hauptstraßen so schwer erträglich macht. Mit offenen Fenstern kann man hier weder arbeiten noch schlafen.

Lärmbelastung nach Stadtbezirken 2020. Grafik: Stadt Leipzig, Bürgerumfrage 2020
Lärmbelastung nach Stadtbezirken 2020. Grafik: Stadt Leipzig, Bürgerumfrage 2020

Und wie wir wissen, tun sich Leipzigs Kraftfahrer schwer, auch nur eine Diskussion über flächendeckendes Tempo 30 zu ertragen, das den Lärmpegel gerade in diesen Straßen deutlich senken würde.

Selbst dann, wenn die meisten Kraftfahrer gar nicht schuld sind am Lärm, der oft nur von einigen wenigen Kraftmeiern verursacht wird, die ihre übermotorisierten Autos, Trikes und Motorräder auf kürzesten Strecken beschleunigen, um möglichst viel Aufmerksamkeit zu bekommen.

Und das betrifft die großen Straßen nicht nur im inneren Stadtgebiet, sondern auch die in den äußeren Stadtbezirken – mit Ausnahme von Grünau, über das die Statistiker sich so ihre Gedanken machen:

„Diese Abweichung lässt sich einerseits durch die aufgelockerte Bebauung Grünaus erklären, andererseits ist West der einzige unter den zehn Stadtbezirken, der stadträumlich komplett als Stadtrandlage zu bewerten ist.“ Was wohl die falsche Erklärung ist. Viel näher liegt die Erklärung, dass es im Grunde nur zwei größere Straßen gibt, die das Quartier durchschneiden, auf denen sich Kraftfahrer animiert fühlen können, richtig Gas zu geben. Die meisten Grünauer sind davon nicht betroffen.

Keine Fortschritte bei Straßenbahn- und Fluglärm

Bei Lärm geht es immer um nahe Betroffenheit. So gehen auch die 15 Prozent starke Betroffenheit durch Straßenbahnlärm vor allem auf jene Betroffenen zurück, die an Straßen mit Straßenbahnverkehr leben (müssen). Oft sorgt der alte Gleiskörper dafür, dass es richtig dröhnt in der Stadt, vorwiegend aber sorgt selbst die Beschleunigung der schweren Fahrzeuge dafür, dass ihre Fahrt auch noch einige Straßen weiter zu hören ist.

Und es kommt hinzu: Sie erzeugen – anders als der Kraftverkehr – kein gleichmäßiges Rauschen, schon gar nicht in der Nacht, wenn ihr Rumpeln ziemlich einsam in der Dunkelheit zu hören ist und Menschen beim Versuch des Einschlafens daran erinnert, dass gerade wieder Linie sowieso die lange Hauptstraße entlangrumpelt.

Wenn sie nicht gar im Leipziger Nordwesten leben, wo sich der (nächtliche) Fluglärm zu einem Dauerproblem entwickelt hat, das sich 2020 sogar wieder verschärft hat. Mit 8 Prozent starker Betroffenheit lag der Wert wieder fast bei den 9 Prozent von 2017. Aber der scheinbar niedrige Prozentwert trügt. Denn auch der Fluglärm liegt nicht gleichmäßig über der ganzen Stadt, sondern scheucht vor allem die Bewohner im Nordwesten nachts aus den Betten.

„Besonders prägnant ist das räumliche Muster der Fluglärmbelastung: Im Stadtbezirk Nordwest wird Fluglärm durch 36 Prozent der Befragten als (sehr) starke Belastung wahrgenommen, auch wenn diese Lärmkategorie für die Gesamtstadt nur an fünfter Stelle steht“, kommentiert der Bericht zur Bürgerumfrage 2020 diesen Tatbestand. „Straßenbahnlärm und Baustellenlärm konzentrieren sich dagegen stärker im Innenstadtbereich, mit hohen Werten im Stadtbezirk Mitte.“

Die 8 Prozent entsprechen freilich auch noch 48.000 Leipziger/-innen, die vor allem unter dem nächtlichen Fluglärm leiden und auch nur zu oft erfahren, dass die schweren Frachtflieger dann auch noch die kurze Südabkurvung über den Leipziger Westen nehmen. Unter den An- und Abflugbewegungen leidet auch der Leipziger Norden.

Und ebenfalls keine Überraschung ist, dass inzwischen sogar der Süden und Südwesten verstärkt über Fluglärm klagen, seit der Flughafen Anfang 2020 ein neues Flugregime eingeführt hat, das eben nicht zu einer Lärmminderung führt, wie gern behauptet wird, sondern nur dazu, dass nun auch andere in den Genuss lauter Frachtflieger kommen.

Klimanotstand? Keine Ahnung

Da verblüfft es schon, dass zwei Drittel der Leipziger/-innen noch nicht einmal wissen, dass es seit 2019 in Leipzig einen offiziellen Klimanotstand gibt.

„Gut ein Drittel der Leipzigerinnen und Leipziger geben an, diesen Beschluss zur Ausrufung des Klimanotstands zu kennen (36 Prozent). Am höchsten ist die Kenntnis mit 45 Prozent in der Altersgruppe der 50- bis 64-Jährigen, gegenüber 31 Prozent in der Gruppe der jungen Erwachsenen bis 34 Jahre. Am ehesten bekannt ist der Beschluss unter Befragten mit Abitur (40 Prozent) und mit Hochschul- oder Fachhochschulabschluss (42 Prozent)“, kommentiert das der Bericht.

Da kann man sich wirklich nur wundern. Als würden sich zwei Drittel der Leipziger/-innen überhaupt nicht dafür interessieren, wie die Zukunft dieser Stadt aussieht. Oder die Medien, die sie so konsumieren, berichten einfach nicht darüber, weil es denen erst recht nicht wichtig ist.

Zum Medienkonsum der Leipziger/-innen kommen wir noch.

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Beim Verkehrslärm auf der einen Seite den empfundenen Anteil zu bewerten (“…ob die Leipziger/-innen die Stadt endlich mal als etwas ruhiger wahrgenommen haben…”) und auf der anderen Seite mit Messungen oder besser Rechnungen zu hantieren (die Lärmkartierung der Stadt) passt meines Erachtens nach nicht zusammen.
Ich finde es auch falsch hier mit Tempo 30 als Verbesserung des gefühlten (!) Lärmpegels zu werben: Ich finde, völlig zu Recht wird im Artikel das Angeben der Fahrer mittels ihrer Fahrzeuggeräusche erwähnt. Dabei werden auch locker, und ich meine nicht unwesentlich, kurzzeitig die jetzt erlaubten 50 km/h überschritten. Ein angeordnetes Tempo 30 ändert gar nichts am “Posen”, sondern verschlechtert nur den Alltag der ganzen normalen Verkehrsteilnehmer. Der Verkehr wird dichter, langsamer, für Verbrenner wahrscheinlich auch etwas verbrauchsintensiver. Und es wird Frust angestaut, weil man nicht vorankommt, und man weiß, dass die Ursache reine Politik ist. Der Angeber dagegen zieht seine Maschine trotzdem kurzzeitig hoch, da helfen keine anderen Zahlen auf den Schildern, sondern da hilft Überwachung und Abstrafen.

Wobei man sich dennoch darüber klar sein muss, dass eben eine Wohnung oder ein Freisitz an einer Hauptstraße ein anderes Lärmbild hat als abseits der Magistrale. Deswegen gibt es auch dementsprechende Unterschiede in den Mieten, und deswegen gibt es im Clarapark auch Vögel zu hören, im Gegensatz zur Karli. Erst mal egal, ob dort Autos entlangrauschen, die LVB-Panzer vorbeidröhnen oder von mir aus Busse herumtouren. Unterschiede wird es wahrscheinlich immer geben.

Sehr schön am Artikel finde ich die Erwähnung der Eisenbahn – auch meine Wahrnehmung ist, dass die Güterzüge leiser geworden sind. Absolut begrüßenswert und lange schon technisch machbar, da etwas zu verbessern. Genau wie bei den Straßenbahnen. Man darf nach Stuttgart verweisen, nach Dresden oder München.

Was mich persönlich übrigens daran hindert mit offenem Fenster zu schlafen ist nicht etwa die Bundesstraße, an die man sich gut gewöhnt über die Zeit, sondern die Unmengen an Krähen in den Bäumen vorm Fenster. Danach fragt Keiner!!!!11! 😉

> Oft sorgt der alte Gleiskörper dafür, dass es richtig dröhnt in der Stadt, vorwiegend aber sorgt selbst die Beschleunigung der schweren Fahrzeuge dafür, dass ihre Fahrt auch noch einige Straßen weiter zu hören ist.
Naja. Es ist oft die Beschleunigung in negativer Richtung, auf deutsch das Bremsen der Fahrzeuge. Gerade beim Leoliner und beim Niederfluranhänger erzeugt das oft Flachstellen in den Rädern, die dann mit jeder Radumdrehung wummern und das Fahrzeug selbst als auch den Gleiskörper stressen. Für mich sind das konstruktive Mängel, die nur mit häufiger Wartung (Abdrehen der Radreifen) zu beheben wären, oder eben mit einer Änderungskonstruktion.

> Da verblüfft es schon, dass zwei Drittel der Leipziger/-innen noch nicht einmal wissen, dass es seit 2019 in Leipzig einen offiziellen Klimanotstand gibt.
Dieses Thema findet außerhalb dieser Zeitung und sicher auch außerhalb einer gewissen linksgrünen Interessenschaft keine Beachtung. “Niemand” von den Normalos redet darüber, denn es ist ein verkopftes, etwas ideologisches Thema wie das Gendern, was sich Enthusiasten ausgedacht haben um etwas zu bewegen, was sie selbst tief im Innern bewegt. “Aber man muss doch mal was tun!”
Ja sicher, aber es ist kaum ein kommunales Thema. Außer, dass solche Beschlüsse dann dazu führen, dass gewisse Teile des Stadtrates Scharmützel mit der L-Gruppe führen, warum denn 20-Euro-Gutscheine fürs Tanken vergeben werden, oder warum das Müllauto nicht mit Strom fährt, und wir das dann wieder wochenlang in dieser Zeitung vorgebetet bekommen.

Ressourcen- und Klimaschutz gern, aber “normal” bitte. Wenn es einen Notstand gibt, dann muss der auch auf der übergeordneten Ebene ausgerufen werden, die ungefähr dem betroffenen Gebiet entspricht. Und dass der Notstand an der Stadtgrenze aufhört ist natürlich ein bißchen lächerlich. So bißchen wie die “Umwelt”zone, die im qualitativen Vergleich mit Dresden, einer Stadt ohne solcher Regelung, ungefähr das Gleiche in den Diagrammen jeweils im Jahr erreicht hat.

> Da kann man sich wirklich nur wundern. Als würden sich zwei Drittel, der Leipziger/-innen überhaupt nicht dafür interessieren, wie die Zukunft dieser Stadt aussieht.
Einfach nur schlimmer oberlehrerhafter Ton. Bei allem Respekt.
Als ob die Ausrufung irgendeines Status’ oder das Kennen wirrer Ideen einzelner Ideologen im Stadtrat etwas mit dem “Interesse an der Zukunft der Stadt” zu tun hat.
Und als ob das “Nichtkümmern” für die Zukunft der Stadt etwas komisches, wundernswertes wäre. Jeder weiß, dass die Menschen aus ihren Interessen handeln. Es gibt welche, die schreien Baggerfahrer wegen schützenswerter, nicht nachweisbaren Eidechsen an, weil das eben ihr Interesse ist und es ihnen Freude macht anschließend das Gesicht in eine Kamera zu halten.
Andere arbeiten hier, gründen Familie, gehen ins Theater und ziehen vielleicht irgendwann weg, wenn es Gründe dafür gibt.

Warum sich Herr Julke da öffentlich “wundert” kann ich nicht nachvollziehen. Es gibt im Alltag so viel Wichtigeres, als die jeweils aktuellen Stadtratsbeschlüsse nachzulesen. Auch wenn ich es hier in der Zeitung gern tue.

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