Es war das Leipziger Jugendparlament, das zum Anfang des Jahres einen Antrag stellte, die koloniale Vergangenheit des Zoos Leipzigs aufzuarbeiten. Das Leipziger Kulturdezernat befürwortete den Antrag zwar, meinte aber auch, dass sich der Zoo Leipzig schon genug mit dem Thema beschäftige. Die Beschlussfassung im Stadtrat steht noch aus. Die Diskussion wurde skurril. Und der Migrantenbeirat schreibt jetzt einen Offenen Brief.

„Der Zoo Leipzig heute steht für Vielfalt sowie Internationalität in jeglicher Form, unterstützt als Zoo des 21. Jahrhunderts die positiven gesellschaftlichen Entwicklungen und distanziert sich von jeder Form von Extremismus und Fremdenfeindlichkeit“, hatte das Kulturdezernat in der Stellungnahme zum Antrag des Jugendparlaments festgestellt.„Er ist sich seiner Geschichte bewusst und setzt sich heute für eine artgemäße Tierhaltung und weltweit für den Arterhalt ein. Die vorhandenen Flächen im Zoo werden genutzt, um eine moderne Tierhaltung zu gewährleisten und auf den Verlust von Biodiversität sowie Lebensraum aufmerksam zu machen und somit aktiv auf den Zeitgeist einzuwirken.“

Doch solche ausweichenden Antworten kamen beim Leipziger Migrantenbeirat nicht wirklich gut an. Denn sie machten eher deutlich, dass sich auch wohlmeinende Leipziger Instanzen nicht wirklich bewusst sind, wie fest sich nach wie vor das alte kolonialistische Denken in den Köpfen der Mitteleuropäer festgesetzt hat.

Wie es funktioniert, beschreibt der Migrantenbeirat in seinem eigenen Antrag so: „Der Zoo Leipzig wirbt auf seiner Website mit ,exotischen‘ Abendveranstaltungen wie dem Afrika-Abend oder dem ,Hakuna Matata‘-Abend. Letzterer wird als exotischer Streifzug durch die Savanne Afrikas in der Kiwara-Lodge umschrieben, indem ,einen Abend lang die Küche und Kultur dieses einmaligen Kontinents erfahren werden soll. (…) Afrikanische Tänzer/-innen und Trommler/-innen begleiten die Veranstaltung in traditioneller Kleidung‘. Mit solchen Umschreibungen und Praktiken reproduziert der Zoo Leipzig koloniale und rassistische Stereotype. Es zeigt sich, dass der Zoo Leipzig die Verantwortung gegenüber seinem kolonialen Erbe nicht wahrnimmt. Der Migrantenbeirat ist der Meinung, dass nachdem der Antrag ,Leipziger Kolonialgeschichte in die Erinnerungskultur aufnehmen‘ am 12. November 2020 von der Stadt beschlossen wurde, diese Praxis des Zoos ein Ende finden muss.“

Darauf regierte dann zum Beispiel CDU-Stadtrat Konrad Riedel, der am 21. April mit Verwunderung auf den Antrag des Migrantenbeirates, „der dem Leipziger Zoo Rassismus und mangelnde Geschichtsaufarbeitung vorwirft“, einging. Diese Aufarbeitung erfolge bereits, meinte er: „Die Vorwürfe, der Zoo agiere rassistisch und kolonialistisch, entbehren jeder Grundlage und erfolgen fernab der Realität: Der Leipziger Zoo mit Dr. Jörg Junhold an der Spitze ist seit langem um die Aufarbeitung seiner Historie bemüht, das verdeutlicht nicht zuletzt die publizierte Studie zu 125 Jahren Geschichte des Zoos, das verdeutlichen die Veranstaltungen, die der Zoo vor der Coronapandemie durchführte. Durch seine internationale Ausrichtung und die weltweite Vernetzung, die maßgeblich auf den Zoodirektor zurückzuführen ist, trägt unser Zoo obendrein bedeutend zur Internationalität Leipzigs bei! Die Vorwürfe sind an den Haaren herbeigezogen.“

Ein LVZ-Interview mit Zoodirektor Jörg Junhold sorgte zusätzlich für Verärgerung im Migrantenbeirat. Denn es machte noch deutlicher, wie schwer es auch dem durchaus um Aufarbeitung bemühten Zoo fällt, aus der angelernten Rolle zu schlüpfen und einfach mal die Welt mit den Augen der anderen zu sehen – nämlich jener Menschen, die auch mit Zooveranstaltungen nach wie vor zum exotischen Objekt gemacht werden. Wenn man diesen Blickwinkel einnimmt, sieht die koloniale Vergangenheit durchaus anders aus.

Konrad Riedel äußerte da freilich gleich mal klare Vorstellungen zum weiteren Vorgehen: „Solange der Antrag des Migrantenbeirates im Verfahren ist, sehe ich eine Aussprache zwischen Beiratsmitgliedern und Zooverantwortlichen als unmöglich. Aus meiner Sicht sollte der Migrantenbeirat den Antrag zurückziehen und zunächst das Gespräch mit der Zooleitung suchen, um die sachliche und fachliche Diskussion zur Historie auch in Zukunft zu ermöglichen! Es bringt uns jedenfalls nicht weiter, den Zoo an den Pranger zu stellen und öffentlich über ihn zu urteilen.“

Eine Wortmeldung, die im Grunde erst richtig zeigt, dass es dieses Gespräch so nicht geben kann. Und dass auch Stadtratsfraktionen ihre Probleme haben, die alten Interpretationsmuster des „Exotischen“ zu erkennen und mit den „Anderen“ weiterhin umgehen, als seien es nur ungelehrige Schüler.

Mit dem Antrag des Migrantenbeirats müssen sich jetzt die Fachausschüsse für Kultur sowie für Soziales, Gesundheit und Vielfalt beschäftigen.

Kanwal Sethi, Vorsitzender des Leipziger Migrantenbeirats und des Dachverbands sächsischer Migrantenorganisationen (DSM), konkretisiert die Thematik nun in einem Offenen Brief, dem sich auch der Dachverband sächsischer Migrantenorganisationen e. V. angeschlossen hat.

Der Offene Brief

Von Kanwal Sethi, Vorsitzender des Migrantenbeirats Leipzig (MBR)

Gleich am Anfang möchte ich klarstellen, dass es weder mir persönlich noch dem MBR und bestimmt weiteren Kritiker/-innen darum geht, Herrn Junhold oder irgendjemanden anzugreifen. Im Gegenteil, Herr Junhold hat den Leipziger Zoo weiterentwickelt und die Leipziger/-innen sind stolz, einen tollen Zoo zu haben, der über die Stadtgrenzen hinaus gelobt wird.

Uns geht es lediglich darum, dass wir als Leipziger/-innen einerseits gemeinsam dunkle Seiten unserer Vergangenheit aufarbeiten und anderseits sollen wir uns alle gemeinsam gegen Unterhaltungsformate stellen, die rassistische Stereotype bedienen und Menschen damit diskriminieren.

Die Ursprungsfrage „Ist der Zoo rassistisch?“ verzerrt massiv das eigentliche Thema und muss als falsch und am Thema vorbei bewertet werden. Es geht in der Kritik um die Frage, ob der Zoo (unreflektiert) rassistische Stereotype durch seine „Kulturabende“ reproduziert. Es geht somit nicht darum, ob der Zoo rassistisch ist, sondern ob er rassistisch handelt oder unternehmerisch handelt und dabei – gewollt oder ungewollt – von gesellschaftlichen rassistischen Vorstellungen profitiert und diese deshalb nicht infrage stellt.

Bevor ich die Kritik am Handeln des Zoos nochmals konkretisiere, möchte ich etwas Grundsätzliches klären. Dazu ist es entscheidend, dass der Begriff Rassismus aus der „Nazi-Ecke“ geholt wird. Ich und viele der unterschiedlichen Kritiker/-innen sprechen bewusst von einem strukturellen Rassismus. Unsere deutsche Gesellschaft hat jahrhundertelang von Rassismus profitiert und ist leider dadurch geprägt. Rassismus zeigt sich in sehr vielen gesellschaftlichen Bereichen – sei es in Betrieben, Behörden, der Polizei, dem Fußballstadion oder der Familienfeier.

Leider zählen die „afrikanischen Abende“, die als kulturelle Veranstaltungen verkauft werden, dazu. In diesen Veranstaltungen wird die gesamte afrikanische Kultur (ein Kontinent mit 54 Ländern und sehr diversen Kulturen) auf einige wenige Klischeebilder reduziert. Es werden dabei Stereotype und Homogenisierungen/Verallgemeinerungen von afrikanischen Gesellschaften und Naturräumen bedient, die ihren Ursprung im historischen Kolonialismus haben.

Schwarze Menschen wurden zu „Anderen“ gemacht, um die europäische Kolonialherrschaft zu legitimieren. Schwarze Menschen wurden zu „Anderen“ gemacht, um die weiße „Zivilisierungsmission“ und Kolonialherrschaft ausgehend von Europa zu legitimieren. Dafür gab es auch im Leipziger Zoo, sogenannte “Völkerschauen”, um der Leipziger Stadtgesellschaft zu vermitteln, sie wären „zivilisatorisch“ überlegen. Dies war besonders eindrücklich, wenn Schwarze Menschen und Menschen of Color neben Tieren zur Schau gestellt wurden.

Im Leipziger Zoo finden meiner Ansicht nach keine interkulturellen Abende statt. Das Unternehmen Mövenpick-Marché betreibt die Kiwara-Lodge und kocht dort etwas „Afrikanisches“ zusammen, eine weiße Kabarettistin macht ein Bühnenprogramm. Das ist Erlebnisgastronomie, kein interkultureller Abend. Hier wird über Klischeebilder ein exotisches Gefühl verkauft.

Wie das mit einem „Bildungsauftrag des Zoos“ begründet werden kann, ist mir offen gestanden ein Rätsel. Wir Leipziger wollen auch Deutschland im Ausland mit Goethe und Schiller repräsentiert sehen – und nicht (nur) mit Bayerischen Lederhosen, Bratwurst und Mittelaltertänzen in einem südafrikanischen oder chinesischen Zoo. In keinem asiatischen und afrikanischen Land werden deutsche oder englische Volkstänze in den dortigen Zoos aufgeführt.

Es gibt auch eine Schieflage im Verständnis des Bildungsauftrags des Zoos. In erster Linie sollte der Zoo das tun, wofür er auch kompetent ist, also im Bereich Tierwelt und Artenschutz bilden. Dafür ist der Zoo Leipzig einer der besten Zoos bundesweit und Herr Junhold hat seine Verdienste daran. Aber manche seiner Aussagen im Interview sind leider unreflektiert und sehr problematisch.

Die Vorstellung, mit Klischeebildern über Kulturen aufzuklären ist ein Bildungsansatz, der zu Pinkerts Zeiten geglaubt wurde. Wir kennen keinen Zoo, in dem beispielsweise die Beziehung von bayerischen Tieren und Lederhosen tragenden Bayern hergestellt wird. Es werden auch weder im Leipziger noch in einem anderen Zoo, spanische, rumänische oder sorbische Abende organisiert.

Nochmals möchte ich klarstellen, dass es gar nicht um einen pauschalen Rassismusvorwurf geht. Natürlich sind Herr Junhold und der Zoo nicht absichtlich rassistisch. Es geht darum, dass wir in uns steckende Rassismen entdecken und es ist bedeutend für dieses Thema zu sensibilisieren, damit in Veranstaltungen keine Stereotypen wiedergegeben werden. Viele der heutigen Stereotypen haben ähnliche, wenn nicht die gleichen Merkmale wie zu Kolonialzeiten.

Der Antrag des MBR hat auch nie die Durchführung von interkulturellen Abenden an sich infrage gestellt. Niemand spricht dagegen, syrische, nigerianische oder deutsche Abende zu veranstalten, in denen es um ein Kennenlernen und das Entdecken von Eigenheiten und Gemeinsamkeiten geht. Diese können aber nicht in Zoos stattfinden. Dafür gibt es verschiedene Kulturräume, Gewandhäuser und Bibliotheken.

Aber auch bei diesen Veranstaltungen müssen wir uns die Fragen stellen: Inwieweit bin ich bereit, meinem Gegenüber offen und auf Augenhöhe zu begegnen und meine eigenen Vorstellungen zu hinterfragen? Oder werden solche Veranstaltungen nur besucht, um sich im Vergleich zu einem „exotischen Fremden“ der eigenen Herrlichkeit zu versichern? Bildung bedeutet, offen für Neues zu sein und Bestehendes zu hinterfragen – das ist immer anstrengend und oft sogar schmerzhaft. Wenn der Zoo seinen Verkauf von rassistischen Klischees als Bildung markiert, dann ist er im Jahre 2021 nach wie vor in der Geisteshaltung von Herrn Pinkert.

Ich freute mich zu lesen, dass Herr Junhold sehr gerne mit Kritiker/-innen im Gespräch bleiben möchte. Leider waren in der Vergangenheit die direkten Gespräche nicht möglich und daher hoffe ich, dass dies sich in Zukunft intensiviert. Gerne stehen ich, der neue gewählte MBR und viele andere postkoloniale Aktive für einen direkten Austausch bereit. In diesem kann sicherlich viel voneinander gelernt werden.

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Es gibt 3 Kommentare

@André, dazu steht ja die Erklärung im Text. Ein Zoo ist dafür einfach nicht der richtige Ort, selbst wenns vielleicht gut gemeint sein soll.

“Der Antrag des MBR hat auch nie die Durchführung von interkulturellen Abenden an sich infrage gestellt. Niemand spricht dagegen, syrische, nigerianische oder deutsche Abende zu veranstalten, in denen es um ein Kennenlernen und das Entdecken von Eigenheiten und Gemeinsamkeiten geht. Diese können aber nicht in Zoos stattfinden. Dafür gibt es verschiedene Kulturräume, Gewandhäuser und Bibliotheken.”

“Soll man jetzt am besten gar nichts mehr zeigen, was mit fremden Kulturen zu tun hat?”
Wenn der Migrantenbeirat sich dahingehend äußert, dass die vom Zoo angebotenen Veranstaltungen rassistisch sind, sollte man den Beirat nicht mundtot machen, sondern ins Gespräch gehen. Der Zoo trägt hier die Verantwortung dafür, die Äußerungen des Migrantenbeirats ernst zu nehmen und gemeinsam auf eine Lösung hinzuarbeiten. Zuallererst sollte man also die Angehörigen der “fremden Kulturen” (der Begriff ist höchst problematisch!) fragen, wie sie es empfinden, wenn Versatzstücke von Folklore als pars pro toto präsentiert werden.

“ein niedrigschwelliger Zugang zu fremden Kulturen” – was soll das bitte sein? Klischees bedienen, die aus Zeiten des Kolonialismus stammen? Damit man sich nicht so anstrengen muss? Ich dachte, wir wären in 2021 weiter als Pinkert mit seinen Völkerschauen.

Ich kann den Migrantenbeirat ja durchaus etwas verstehen, aber hier schießt er meines Erachtens über das Ziel hinaus.

Soll man jetzt am besten gar nichts mehr zeigen, was mit fremden Kulturen zu tun hat?
Der Zoo bietet ja mit seinen Themenabenden letztlich nichts anderes an, als man es in den entsprechenden Ländern als Pauschalurlauber auch zu sehen bekommt. Sind die Leute dort dann also rassistisch sich selbst gegenüber?

Und ein niedrigschwelliger Zugang zu fremden Kulturen (im Vergleich zu einer Auslandsreise ist das der Zoo) ist in meinen Augen durchaus geeignet Interesse und Offenheit für fremde Kulturen zu wecken.

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