Er gilt als einer der geschichtsträchtigsten Orte Leipzigs. Lange hatten Historiker gerätselt und geforscht, wo sich die früheste Burg der Stadt aus dem 10. Jahrhundert befand. Erst in den fünfziger Jahren erbrachten archäologische Arbeiten den Nachweis, dass sich zwischen Dittrichring und Großer Fleischergasse mal eine Befestigungsanlage erstreckt hatte – Burg und Siedlung der frühen „urbs libzi.“

Nach Schleifung des Baus im 13. Jahrhundert entstand hier ein Kloster der Franziskaner („Barfüßer“). Aus dem zugehörigen Gotteshaus ging schließlich die evangelische Neukirche (geweiht 1699) hervor, die seit 1876 als Matthäikirche bekannt war.

Der „pittoreske Charme“ eines vergangenen Ortes

„Während die Schauseite zum Ring hin um 1900 mit prachtvollen Geschäftshäusern ausgestattet wurde und Leipzigs Aufbruch zur modernen Metropole verkörpert, erhielt sich der rückwärtige Kirchhof lange seinen pittoresken Charme“, so die Stadt Leipzig auf ihrer Internet-Präsenz über die Historie des Ortes.

Doch beim Luftangriff auf die Stadt im Dezember 1943 fielen die Kirche und deren Umfeld einer großflächigen Zerstörung anheim. Die Ruinen verschwanden nach dem Zweiten Weltkrieg endgültig. Mit „Runder Ecke“, der früheren Stasi-Bezirksverwaltung Leipzig, und trostloser Zweckbebauung wurde dem Areal in der DDR die Signatur des Repressionsstaates übergestülpt. Seit der gewaltlosen Besetzung des Geländes im Herbst 1989 ist es untrennbar an den Geist von Revolution und Aufbruch gekoppelt.

Und nun ein Gegenstand der Kontroversen

Und nun? Schon lange ist die Zukunft des Platzes in der nördlichen City Gegenstand von Diskussionen: Wie kann man dem verödeten Gelände wieder zur Lebendigkeit verhelfen? Ließe sich hier vielleicht ein Hochhaus hinsetzen? Könnte nicht dereinst ein lebendiges Viertel für Kleingewerbe, Bildung, Kunst, Kreativität und Kultur aufblühen – auch jenseits der reinen Erinnerung an die politische Vergangenheit?

Der Bürgerverein Pro Leipzig e. V. schlug den Matthäikirchhof etwa als Standort der Musikschule „Johann Sebastian Bach“ vor, um an bedeutende Protagonisten wie Georg Philipp Telemann, Ernst Anschütz oder Carl Friedrich Zöllner zu erinnern, die früher hier wirkten. Und immer wieder die Frage: Erhalten wir den Plattenbau, jenes bedrückende Symbol der DDR-Diktatur, oder macht der komplette Abriss des ehemaligen Gebäudes von Stasi und Volkspolizei nicht doch mehr Sinn?

Viele Fragen, viele Wünsche, derer sich die Stadt als ein zentrales Projekt im „Arbeitsprogramm Leipzig 2023“ annimmt. Ein Teil der Grundstücksfläche soll demnach einem künftigen „Forum für Freiheit und Bürgerrechte“ zur Verfügung stehen.

Stadt Leipzig setzt auf die Schaffung neuer Freiräume

Damit, so das Kultur- und Baudezernat auf LZ-Anfrage, „entsteht auf dem Gelände des früheren Matthäikirchhofs ein Demokratie-Campus: ein zentral in der Leipziger Innenstadt gelegener Ort für die Auseinandersetzung mit Freiheit und Demokratie in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Hier soll sich ein Erinnerungsort, ein Demokratie-Labor, ein Wissenschaftszentrum und ein offener Raum mit lokaler und regionaler Verankerung sowie nationaler und internationaler Ausstrahlung entwickeln. Der Campus wirkt als ein weltweit wahrnehmbares Forum, in dem über das Zusammenleben in einer pluralistischen Gesellschaft im 21. Jahrhundert und die Zukunft der Demokratie in Deutschland und Europa nachgedacht, geforscht und öffentlich diskutiert wird.“

Das Titelblatt der LEIPZIGER ZEITUNG Nr. 98, Januar 2022. Foto: LZ

An die Arbeit von Institutionen wie dem Schulmuseum, des Museums in der „Runden Ecke“, dem Bürgerkomitee und dem Archiv Bürgerbewegung solle dabei eng angeknüpft werden, um aktuelle Transformationsprozesse und Zukunftsthemen zu erforschen, zu diskutieren und zu vermitteln.

Daneben sei es, so die Stadt in ihrer Antwort auf die LZ-Nachfrage, für die Schaffung eines lebendigen innerstädtischen Quartiers elementar, Kunst und Kultur an dem Ort anzusiedeln. Dazu gäbe es bereits entsprechende Kooperationen.

„Als öffentlicher Raum in der Leipziger Innenstadt soll eine diverse Nutzungsmischung auf dem Areal Begegnungen zwischen den Besucherinnen und Besuchern und Nutzerinnen und Nutzern ermöglichen und zusätzlich Freiräume für Akteure, Initiativen und Vereine aus Politik, Zivilgesellschaft, Kunst und Kultur schaffen“, so der Blick in die Zukunft.

Was wird aus der DDR-Trutzburg?

Damit ist eine Richtung eingeschlagen. Doch Details wie das Verhältnis zwischen Freiflächen und Bebauung sind derzeit noch offen – grob geplant sind 20–40 % nicht-bebauter Abschnitte. Eine endgültige Klärung bleibt hier dem städtebaulichen Wettbewerb vorbehalten, der nach aktuellem Stand in diesem Jahr beginnen könnte.

In den Kontroversen um einen Abriss der klobigen DDR-Trutzburg reicht das Meinungsspektrum von vollständiger Beseitigung bis zum kompletten Erhalt – im Beteiligungsprozess zeichne sich, so die Stadt, jedoch eine Mehrheit für den teilweisen Erhalt von Elementen ab. Dieser müsse in der kommenden, 4. Fachwerkstatt des Beteiligungsprozesses genauer betrachtet werden.

Mit einem Ergebnis des städtebaulichen Wettbewerbs ist erst Mitte 2023 zu rechnen – ob der Architekturwettbewerb noch im selben Jahr beginnt, ließe sich derzeit nicht abschätzen, teilt das Kultur- und Baudezernat mit.

Alle Artikel zum Arbeitsprogramm 2023 zum Nachlesen

„Matthäikirchhof: Keimzelle, DDR-Trutzburg, Zukunftslabor“ erschien erstmals am 28. Januar 2022 in der aktuellen Printausgabe der Leipziger Zeitung (LZ). Unsere Nummer 98 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehändlern.

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