Die Sache ist weder gekocht noch gegessen. Im Gegenteil. Die gesamte Bundesrepublik ist unterfinanziert. Und zwar nicht erst seit der Konjunkturflaute seit drei Jahren. Die wird zwar gern herangezogen als Begründung dafür, dass auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene die Haushalte immer mehr aus dem Lot geraten. Und mit ihr werden dann Kürzungen begründet, für das leichtgläubigen Volk „Konsolidierung“ genannt. Jeder kämpft um sein Geld. Die Grünen-Fraktion im Leipziger Stadtrat tat es mit einem Antrag zum Zensus 2022.
Das ist ja bekanntlich die Bevölkerungshochrechnung auf Basis von stichprobenartigen Erhebungen im Jahr 2022. Die Ergebnisse wurden 2024 veröffentlicht. Und nicht nur Leipzig erlebte – wie schon beim Zensus 2011 -sein blaues Wunder und eine drastisch abgesenkte offizielle Bevölkerungszahl. Statt 629.000 Einwohnern wie im Melderegister sollten jetzt nur noch 607.000 Menschen in Leipzig wohnen.
Was – wie Grüne-Stadtrat Marvin Frommhold am Mittwoch, dem 25. Juni, in der Ratsversammlung betonte, für Leipzig 8 Millionen Euro weniger aus dem sächsischen Finanzausgleich bedeutet. Pro Jahr wohlgemerkt. „Da kommt schon eine erkleckliche Summe zustande.“
In ihrem schon im November 2024 gestellten Antrag hatte die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gefordert: „Der Oberbürgermeister wird beauftragt, mit dem Freistaat Sachsen Gespräche zu führen mit dem Ziel, abweichend von den Hochrechnungen der Einwohner/-innenzahl des Zensus 2022 die Zahlen des Melderegisters der Stadt Leipzig zu plausibilisieren und als Grundlage für die Finanzzuweisungen für die Kommunen nach dem Vorbild des Landes Rheinland-Pfalz zu nehmen.“
In Rheinland-Pfalz gelten weiter die Zahlen aus den Einwohnermelderegistern für die Finanzzuweisungen des Landes. Die Zensus-Ergebnisse ändern dort also an diesen Zuweisungen nichts.
Leipzigs Verwaltung hat schon reagiert
Aber auch Leipzigs Verwaltung weiß, wie knapp es inzwischen mit dem Leipziger Haushalt zugeht, der vor allem durch Pflichtaufgaben aufgebläht wird, die der Bund an die Kommunen verwiesen hat, ohne sie auskömmlich zu finanzieren.
Das hört sich erst einmal harmlos an, ist aber genau das Instrument, mit dem nun eine Bundesregierung nach der anderen ihre Haushalte geschönt und entlastet hat. Die Kosten wurden einfach auf die Kommunen verlagert. In Berlin feierte sich dann ein Finanzminister nach dem anderen für die „Schwarze Null“, die schon von Anfang an eine Lüge war. Denn einfach in die Kommunalhaushalte verschobene Kosten sind eben auch Kosten.
Die in diesem Fall nicht nur die Handlungsfähigkeit der Kommunen beeinträchtigen und diese daran hindern, in ausreichendem Maße die kaputten Infrastrukturen (Schulen, Brücken, Straßen …) zu erneuern. Sie werden regelrecht zum Schuldenmachen gezwungen, selbst wenn sie – wie Leipzig – schon zwei Jahrzehnte heftigen Sparens hinter sich haben.
Die „Schwarze Null“ ist nichts anderes als eine politische Lüge und ein Verschiebebahnhof, der verschleiert, dass Deutschland ein ungerechtes und kaputtes Steuersystem hat, das nicht einmal mehr schafft, die öffentlichen Ausgaben zu decken.
Inzwischen hat ja bekanntlich der Spar-Weltmeister Sachsen dasselbe Problem und hat erstmals seit über 25 Jahren nur noch einen Haushalt mit einer Deckungslücke von 4 Milliarden Euro hinbekommen. Deutschland spart sich auf allen Ebenen kaputt. Und da wird auch das so viel bejubelte 500-Milliarden-Sondervermögen nicht viel helfen. Es wird nicht einmal die größten Löcher stopfen. Und auf allen Ebenen fürchten sich die politisch Verantwortlichen schon vor den nächsten Haushaltsverhandlungen, in denen die Misere noch viel offenkundiger wird.
Aber das Verwaltungsdezernat hat schon vor dem Antrag der Grünen recht schnell reagiert und in Dresden entsprechend Einspruch zu den Zensus-Ergebnissen eingelegt.
Chancen auf Widerspruch werden ausgelotet
„Die Stadt Leipzig hat mit Schreiben vom 21.10.2024 bereits fristwahrend Widerspruch gegen den Feststellungsbescheid des Statistischen Landesamtes zur Feststellung der amtlichen Einwohnerzahl auf Grundlage des Zensus 2022 erhoben. Es wurde Akteneinsicht beantragt“, teilt das Verwaltungsdezernat in seiner Stellungnahme mit.
„Der fristgemäße Eingang des Widerspruchs wurde seitens des Statistischen Landesamtes bestätigt und Akteneinsicht gewährt. Diese wird gerade durchgeführt. Auf Grundlage der Akteneinsicht und der weiteren statistisch-methodischen Prüfung der Ergebnisse des Zensus sollen anschließend die Erfolgsaussichten des Widerspruchs und eines möglichen anschließenden Klageverfahrens bewertet und über das weitere Vorgehen entschieden, ggf. eine Widerspruchsbegründung erarbeitet werden.
Im Rahmen des Widerspruchs und eines etwaigen Klageverfahrens ist eine detaillierte Prüfung der Methodik der Zensuserhebung erforderlich. Etwaige Unregelmäßigkeiten in der Ermittlung der amtlichen Einwohnerzahl für Leipzig durch den Zensus 2022 werden derzeit ebenso geprüft, wie die Validierung der Einwohnerzahl durch alternative Quellen und insbesondere das Melderegister der Stadt Leipzig. Nach Abschluss der Prüfung erfolgt eine Begründung des Widerspruchs und die Abwägung weiterer Schritte.“
Aber die Chancen könnten durchaus gut stehen, wie Frommhold vermutet, da schon Widersprüche aufgetaucht wären. „Die fehlerhaft fortgeschriebenen Zensuszahlen bilden die Realität nicht ab“, sagte er.
Die Melderegisterzahlen sollten gelten
Der wesentliche Wunsch der Grünen-Fraktion wurde also schon erfüllt und Marvin Frommhold konnte den Antrag aus dem Herbst deshalb zurückziehen. Aber er wünschte sich trotzdem noch eine Protokollnotiz, denn wenn es Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt fertigbringen, weiterhin die Bevölkerungszahlen aus den Melderegistern zur Grundlage der kommunalen Finanzzuweisungen zu machen, dann sollte das Sachsen doch auch fertigbringen.
Darum, dass Sachsen das so handhabe, solle sich Oberbürgermeister Burkhard Jung bemühen. Das sagte dieser gern zu, da es ja auch im Interesse seines eigenen Haushalts ist. Aber er betonte auch: „Das wird ein schwieriger Akt.“
Denn die falsche Staatsfinanzierung hat nun einmal auch den Spar-Fuchs Sachsen eingeholt und zwingt die Staatsregierung zu „Konsolidierungen“. Was für den gewöhnlichen Bürger schlichtweg heißt: Personal wird gestrichen, staatliche Dienstleistungen werden gekappt oder (noch) schlechter angeboten. Und da sich die Spirale dreht, wird das jetzt Jahr um Jahr so weiter gehen, während uns neoliberale Politiker Märchen von „Schwarzen Nullen“ und „Neuverschuldungsverboten“ erzählen. Ein Staat aber, der durch vernünftige Steuern nicht ausfinanziert ist, rutscht ganz automatisch in eine Verschuldungsspirale hinein.
Ob der Vorstoß Leipzigs zu den Zensus-Ergebnissen freilich am Ende doch noch eine Besserung in den Kommunalzuweisungen ergibt, ist auch nach der Ratsversammlung am 25. Juni völlig offen.
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