Es gibt auch Projekte im Leipziger Rathaus, die laufen auch dann weiter, wenn es massive Kritik an ihnen gibt. Eines dieser Projekte ist der Ausbau der Gewässer, damit Motorboote drauf fahren können. So ein Projekt ist auch die 2009 genehmigte und 2014 begonnene Störstellenbeseitigung in der Pleiße zwischen agra-Wehr und Connewitzer Wehr. Die Störstellenbeseitigung passiert auf Markkleeberger Gebiet. Und sie ist nur unterbrochen, nicht gestoppt, wie das Amt für Stadtgrün und Gewässer mitteilt.

Mit Berufung übrigens auf das Wassertouristische Nutzungskonzept (WTNK) von 2006, das zwischenzeitlich zwar novelliert werden sollte. Aber als es um die Beteiligung der Umweltverbände ging, erlebten sie, wie wenig ihre naturschutzfachliche Expertise gefragt war. Sie verließen letztlich geschlossen den einberufenen Runden Tisch zum WTNK. Was eigentlich das Aus für dieses „Steuerungsinstrument“ hätte bedeuten müssen. Aber 2020 drückte Leipzigs Verwaltung dann doch wieder einen Aufstellungsbeschluss für das WTNK durch.Obwohl da schon klar war, dass das WTNK überhaupt keinen Sinn ergibt, solange das Auenentwicklungskonzept noch nicht vorliegt, in das sich das WTNK zwingend einordnen muss. Das Konzept ist erst für Ende 2022 / Anfang 2023 avisiert.

Keine Weiterfahrt auf der „Wasserschlange“

Aber derweil mahlen die Mühlen in der Steuerungsgruppe für die Gewässer weiter, wie die Grünen jetzt erfahren. Denn die Störstellenbeseitigung in der Pleiße hat ja nur einen Zweck: Die Pleiße vom Connewitzer Wehr bis zum agra-Wehr befahrbar zu machen für Motorboote. Das agra-Wehr deshalb als Zielpunkt, weil es hier den Einstieg zur „Markkleeberger Wasserschlange“ geben sollte, auf der dann weitergefahren werden sollte bis zum Markkleeberger See.

Die „Wasserschlange“ ist aber in ihrer ursprünglichen Gestaltung gescheitert. Es wird wohl keinen für Motorboote befahrbaren Kanal zum Markkleeberger See geben. Im Gespräch ist mittlerweile nur noch eine deutlich kleinere Gewässerverbindung, die mit Paddelbooten befahren werden kann.

Die aber brauchen keine Störstellenbeseitigung in der Pleiße.

Dass sich aber in Leipzigs Wasserverwaltung nicht viel geändert hat in der Vorstellung, welche Wasserrouten in welcher Dimension ausgebaut werden sollen, bestätigt nun das Amt für Stadtgrün und Gewässer: „Das Projekt ‚Störstellenbeseitigung in der Pleiße‘ ist Teil des wassertouristischen Nutzungskonzepts (WTNK). Dazu gibt es einen Planfeststellungsbeschluss aus dem Jahr 2009. 2014 gab es erste Baumaßnahmen, die jedoch abgebrochen wurden“, teilt es auf Anfrage der Grünen hin mit.

Das Projekt wurde inzwischen geändert

Auch dass sich das Projekt aus naturschutzrechtlichen Gründen schon etwas geändert hat:

„Der Planfeststellungsbeschluss liegt bereits seit 2009 vor. Nach Baubeginn des 1. Bauabschnittes wurde die Baumaßnahme Ende 2014 unterbrochen und 2015 zusätzliche naturschutzfachliche Kartierungen vorgenommen. Anhand des daraufhin erstellten artenschutzfachlichen Fachbeitrages wurde durch das KFSL eine naturschutzrechtliche Ausnahmegenehmigung nach § 45 Abs. 7 BNatSchG beantragt und 2016 durch den Landkreis Leipzig erteilt. Zudem fanden 2016 Kampfmittelbeseitigungsmaßnahmen im Baubereich statt. In den Jahren 2017 bis 2019 wurden die Baumaßnahmen des 1. Bauabschnittes mit der Realisierung einer Sohlgleite unterhalb des agra-Wehres fortgesetzt.“

Und so nebenbei erfahren auch die Grünen, dass die ursprüngliche Dimensionierung der Störstellenbeseitigung darauf abzielte, dass sich hier Motorboote sogar im Begegnungsverkehr treffen konnten.

Aber diese Ausbaudimension war nicht zu halten: „Da während des 1. Bauabschnittes bautechnische Probleme auftraten, waren eine Defizitanalyse (2019) und darauf aufbauende Umplanungen notwendig. Hierbei wurde sich zur weiteren Eingriffs- und Kostenminimierung vom ursprünglichen Ziel eines durchgängigen Begegnungsverkehrs abgewandt und stattdessen ein einspuriger Bootsverkehr mit Ausweichstellen geplant. Die überarbeitete Vorplanung wurde 2021 vorgelegt. Nach Meinung der Verwaltung sind die Grundzüge der planfestgestellten Maßnahmen durch die Änderungen nicht betroffen. Eine abschließende Bewertung der Landesdirektion Sachsen liegt jedoch noch nicht vor. Derzeit wird von einem Baubeginn 2023 ausgegangen.“

Obwohl also die „Wasserschlange“ als weiterführende Route für Motorboote eigentlich gestorben ist, hält man trotzdem an der Befahrbarmachung dieses Pleißeabschnitts fest.

Ein Paket Genehmigungen für Bootsbetreiber

Und das für eine ganze Menge Motorbootfahrten, wie das Amt für Stadtgrün und Gewässer bestätigt: „Für die Pleiße liegt eine hohe Anzahl bereits erteilter Gestattungen (Stand 10/2021: 455 muskelbetriebene Verleihboote, 6 Fahrgastschiffe, 101 private Motorboote) vor.“

All diese Boote fahren natürlich nicht zum agra-Wehr. In der Regel verkehren sie bis zum Bootsverleih am Wildpark.

Wie viele Boote hier tatsächlich schon fahren, konnte Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal auf Nachfrage von Dr. Tobias Peter (Grüne) in der Ratsversammlung am 19. Januar noch nicht sagen.

Dr. Tobias Peter, Grüne. Screen Stadt Leipzig

Aber die Gewässerverantwortlichen in den Kommunen des Grünen Rings halten noch immer an der Vorstellung fest, man könnte irgendwann auch mit dem Motorboot bis zum Markkleeberger See fahren.

Diese Planung steckt auch in der Fortschreibung des WTNK, wie das Amt für Stadtgrün und Gewässer bestätigt: „Im Rahmen der WTNK-Fortschreibung erfolgte eine Nutzungsprognose für das Jahr 2030. Die Nutzungsprognose stellt die zu erwartende maximale Anzahl der Bootsbewegungen an einem sommerlichen Schönwettertag in den Ferien oder am Wochenende dar. Für die Pleiße im Bereich des Vorhabens Störstellenbeseitigung wurden 531 Bootsbewegungen (471 muskelbetriebene Boote, 60 Motorboote) prognostiziert.“

Wie passt das zum Auenentwicklungskonzept?

Realisiert wird die Störstellenbeseitigung übrigens durch der Zweckverband Kommunales Forum Südraum Leipzig (KFSL). Die Finanzierung erfolgt aus Bergbaufolgemitteln: „Die Finanzierung der Störstellenbeseitigung ist gesichert. Es handelt sich um eine sog. § 4-Maßnahme des Verwaltungsabkommens Braunkohlesanierung (VI./VII. Verwaltungsabkommen) zur Erhöhung des Folgenutzungsstandards der Bergbaufolgelandschaften, welche aus Landesmitteln finanziert wird. Die Städte Leipzig und Markkleeberg stellen den Eigenmittelanteil dem Vorhabenträger KFSL in Höhe von insgesamt 15 % zur Verfügung. Der Eigenmittelanteil der Stadt Leipzig wurde im Rahmen der Haushaltsplanung in den Haushalt der Stadt Leipzig eingestellt und ist bereits an den Vorhabenträger abgeflossen.“

Nach Angaben von Rosenthal geht es derzeit um eine Summe um die 1,5 bis 1,8 Millionen Euro.

Und unbeantwortet steht weiterhin im Raum, wie sich so eine Maßnahme eigentlich in den Schutz des Auensystems einordnet. Die Umweltverbände hatten ja nicht ohne Grund eine umfassende Umweltverträglichkeitsprüfung für das WTNK verlangt.

Das klingt jetzt im Wortlaut der Antwort an die Grünen so: „In der Fortschreibung des Wassertouristischen Nutzungskonzeptes (WTNK) werden geplante wassertouristische Infrastrukturprojekte und deren Auswirkungen in Summation mit der vorhandenen wassertouristischen Infrastruktur ebenso umweltfachlichen Untersuchungen unterzogen wie der dadurch generierte Bootsverkehr und die Gewässerunterhaltung. Das WTNK dient demnach als Steuerungs- und Lenkungskonzept. Die Störstellenbeseitigung wurde als vorhandene wassertouristische Infrastruktur in die Untersuchungen einbezogen.“

Ob es freilich dann zum Auenentwicklungskonzept passt, ist völlig offen. Diese Abstimmung hatten 2020 die beiden Stadträte Michael Neuhaus (Linke) und Jürgen Kasek (Grüne) beantragt – und den entsprechenden Satz auch in den Aufstellungsbeschluss zum WTNK bekommen. Wenn Leipzig die Rettung des Auensystems ernst nimmt, wird so manches WTNK-Projekt dann nicht mehr umsetzbar sein.

Nach Rosenthals Ansicht berührt die Störstellenbeseitigung das Auenentwicklungskonzept nicht, da die Pleiße sowieso schon ein gesteuertes Gewässer ist. Aber die Frage nach dem Sinn stellt sich schon, wenn absehbar keine Motorboote bis zum Markkleeberger See durchfahren können.

Die Debatte vom 19.01.2022

Video: Livestream der Stadt Leipzig

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Keine Kommentare bisher

Es ist immer schon klar gewesen, dass die sog. Störstellenbeseitigung (schon dieses Wort für die endgültige Nivellierung der Sohle ist eine farce) ohne die sog. Wasserschlange (= Bootskanal) auch bzgl. des Wassertourismus Nonsens ist. Es ist schon immer klar gewesen, dass die Pleiße endgültig zu einem Motorbootskanal degradiert werden sollte. Und? Es wurden Mio an € in diese Naturzerstörung investiert.
Und es ist schon immer klar gewesen, dass das WTNK eine naturschutz- und auenökologische Katastrophe ist unter dem Motto “Massentourismus statt Auenentwicklung”. Und dass das nicht in ein Auenentwicklungskonzept reinpassen kann (denn ansonsten wäre dieses keins) war ebenso, ohne sich tiefere Gedanken machen zu müssen, sonnenklar. Natürlich hätten Stadträt*innen ganz eindeutig und unmissverständlich fordern können und müssen: Zuerst das Auenentwicklungskonzept und dann erst überhaupt über sog. Fortschreibung des WTNK nachdenken (wobei es hierzu eigentlich auch ein ganz klares NEIN kommen müsste, wenn man es denn mit dem Naturschutz ernst meinen würde). Auch niemand der Fraktion der Grünen hat dies klar gefordert, obwohl sie natürlich im Hintergrund dazu aufgefordert wurden. Aber nein, es wurde ein völlig verwässerter Antrag eingebracht, den der WTNK-Bürgermeister und seine Vasall*innen locker aushebeln konnten (natürlich wird das alles ganz genau geprüft, wir haben doch so ein tolles Planungsbüro aus München und Herne)… ich würde ja gerne sagen, sie wurden verarscht, aber ich denke eher, sie wollten verarscht werden. Heuchelei.

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