In der Ratsversammlung am heutigen 12. Oktober soll über das Energie- und Klimaschutzprogramm (EKSP) 2030 für die Stadt Leipzig abgestimmt werden. Wenn abgestimmt wird, denn es könnte noch zu einem weiteren Antrag kommen, die ganze Abstimmung zu verschieben, nachdem der Stadtrat schon in seiner Septembersitzung die Reißleine gezogen hatte: So wie es die Verwaltung vorgelegt hat, ist das ESKP nicht zustimmungsfähig.

Vorgelegt hat Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal das neue Energie- und Klimaschutzprogramm (EKSP) im Juni – quasi direkt vor der Sommerpause. Was dazu führte, dass sich viele Stadträtinnen und Stadträte mitten in den Ferien in das dicke Papier einarbeiten mussten. Es gleich in der September-Ratsversammlung zur Abstimmung zu stellen, war schon mehr als eine Zumutung.

Und noch viel verärgerter waren die Leipziger Klima- und Umweltschutzinitiativen, die beim Durchblättern des Papiers das Gefühl hatten, dass es wieder nur ein Programm ohne klare Arbeitsschritte und Ziele sein würde. Da stand kurz das komplette Scheitern der Vorlage im Raum und ein Auftrag der Ratsfraktionen, die Arbeit von vorn zu beginnen.

Retten, was noch zu retten ist

„Aber das wollten wir dann doch nicht“, sagt Jürgen Kasek, umweltpolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen, der am Dienstag, dem 11. Oktober, zusammen mit Michael Neuhaus, dem umweltpolitischen Sprecher der Linksfraktion, zwei gemeinsame Änderungsanträge von Linken, Grünen und SPD zum EKSP vorstellte. Die SPD fehlte am Tisch. Von ihr könnte es, so Kasek, am Mittwoch, 12. Oktober, noch einen Absetzungsantrag zum EKSP geben. Ausgang offen.

Aber tatsächlich haben sich Grüne, Linke und SPD schon frühzeitig zusammengerauft und für sich definiert, was am vorgelegten Papier der Verwaltung noch zu retten ist. Zuerst organisierten sie eine größere Veranstaltung auch mit Leuten aus der Leipziger Klimabewegung.

„Leipzig hat zum Glück eine starke Klimabewegung“, sagt Kasek.

So floss dann auch das Knowhow der Leute mit ein, die sich seit Jahren professionell mit dem Klimawandel beschäftigen und dem, was eine Stadt wie Leipzig tun kann, um endlich klimaneutral zu werden.

Dem folgten dann drei Arbeitstreffen der drei beteiligten Fraktionen und eine erste Liste mit Änderungswünschen an die Verwaltung. Am 4. Oktober tagten dann auch noch der Umweltausschuss und der Bauausschuss des Stadtrates in einer Sondersitzung zum EKSP, wo die Änderungswünsche aus den Fraktionen zum Thema wurden. Die beiden Änderungsanträge, die Neuhaus und Kasek am Dienstag vorstellten, sind das Ergebnis.

„Angesichts der drohenden Klimakrise erscheinen die durch die Verwaltung erarbeiteten Maßnahmen an vielen Stellen noch immer zu wenig motiviert“, stellten beide unisono fest.

Wie konkret darf Klimaschutz bitte werden?

Der Änderungsantrag Nr. 10 ist dabei eine Bündelung all der Änderungsvorschläge, die sich die Verwaltung schon in den Vorgesprächen vorstellen konnte, diese in ihren eigenen Beschlussvorschlag zu übernehmen. Dazu gehört zum Beispiel die Benennung des Car-Sharings als wichtigen Baustein der Verkehrswende, die konkrete Benennung der fünf Radschnellverbindungen, die bis 2030 gebaut werden sollen, die Schaffung von zehn neuen Streuobstwiesen und die Formulierung „konkreter Meilensteine und Ausbauziele“.

Denn gerade Letzteres fehlt auch in diesem EKSP, nachdem Rosenthal schon bei der Vorstellung des Papiers zugeben musste, dass aus dem alten EKSP auch nur ein Teil der Maßnahmen umgesetzt wurde. Geht das jetzt also so weiter? Werden bunte Papiere produziert, aber Leipzig kommt beim Klimaschutz keinen Schritt voran?

Da, wo die Änderungsvorschläge der drei Fraktionen Geld kosten, schüttelte die Verwaltung sowieso den Kopf. Das müsste dann in den Haushaltsverhandlungen geklärt werden.

Was aber aus Sicht der Antragsteller egal ist, so Kasek. Denn erst einmal muss das alles im EKSP stehen, damit dann in den Haushaltsverhandlungen auch Nägel mit Köpfen gemacht werden können.

Worauf kann man die Verwaltung verpflichten?

13 Punkte haben die drei Fraktionen im Änderungsantrag Nr. 9 aufgeschrieben, die sie im EKSP unbedingt noch stehen haben wollen – so etwa die Schaffung von fünf Kilometer neuer Fahrradstraßen pro Jahr, die Schaffung autoarmer Quartiere, eigentlich sogar richtig autofreier Quartiere, mehr Geld für Gehwege und die Abschaffung des Gehwegparkens in Leipzig. Und auch wenn es scheinbar nur Kosmetik ist, soll Leipzig die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels im EKSP festschreiben. Bislang hat es nur 1,75 Grad als Ziel.

Das sei eben nicht banal, erklärte am Dienstag Dr. Christoph Gerhards von Scientists for Future, den Grüne und Linke zum Pressegespräch mit eingeladen hatten. Denn eigentlich ist auch die Debatte um das noch bestehende CO₂-Budget Augenwischerei. „Das ist wie ein Kredit, den wir uns selbst gegeben haben“, so Gerhards. „Und was ist, wenn wir das Budget überschreiten? Ist das dann ein Überziehungskredit?“

Deswegen ist auch die Zielsetzung 1,5 Grad eher symbolisch. Schon gar vor dem Hintergrund, dass viele Vorhaben nur umsetzbar sind, wenn Bund und Land die Gesetze ändern und Geld dazu geben. Alles allein kann Leipzig nicht stemmen und auch nicht entscheiden.

Aber das, was die Stadt tun kann, um die Stadt klimaneutral zu machen, das sollte auch passieren.

„Das Energie- und Klimaschutzprogramm muss insgesamt ambitionierter werden“, stellt Jürgen Kasek fest. „Deshalb haben wir eine Reihe von Änderungsanträgen vorgelegt. Es muss deutlich werden, dass wir die Zukunftssicherung für kommende Generationen betreiben. Schlussendlich tragen wir damit dazu bei, dass Leipzig im Energiebereich autarker und somit krisenresilienter wird. Gerade vor dem Hintergrund der derzeitigen Krisen müssen wir handeln.“

Das Klima und die soziale Frage

Und dass auch Leipzig endlich anfangen muss, die Klimafrage als soziale Frage zu begreifen, betonte Michael Neuhaus: „Jahrelang haben Klimaschutzgegner in und außerhalb der Parlamente behauptet, dass die Energiewende und energetische Sanierungen vor allem für Menschen mit geringen Einkommen unerschwinglich seien. Jetzt sehen wir die katastrophalen Folgen dieser Politik. Die fossilen Energien sind unbezahlbar und die erneuerbaren nicht ausreichend vorhanden. Viele Menschen mit Einkommen im niederen Sektor wohnen in schlecht gedämmten Häusern.

Sie können heizen, noch und nöcher. Wird sich deswegen irgendein Immobilienunternehmen an den Nebenkosten beteiligen? Wohl kaum. Guter Klimaschutz ist auch gute Sozialpolitik. Wir wollen deswegen ein EKSP auf den Weg bringen, das für die Mehrheit der Menschen reale Verbesserungen bringt: mehr Mobilität, bezahlbare Energie und gut sanierte Wohnungen für alle.“

Und auch wenn die SPD-Fraktion beim Termin nicht dabei war, lässt sich Prof. Dr. Getu Abraham, der umweltpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, mit den Worten zitieren: „Wir stehen – nicht nur in Leipzig – vor der Aufgabe, eine große Bandbreite unterschiedlicher Herausforderungen gleichzeitig meistern zu müssen und vielfältigen ökonomischen sowie sozialen Ansprüchen gerecht zu werden.

Deshalb ist es uns vor allem wichtig, gemeinsam Wege zu finden, mit denen wir einerseits Klima und Umwelt schonen und andererseits die sozialen Prämissen der Bezahlbarkeit, der Zugangsgerechtigkeit für alle beachten sowie für eine starke Wirtschaft und für Wohlstand in unserer Gesellschaft sorgen. Vor dem Hintergrund der angestrebten Zielsetzungen kann das Energie- und Klimaschutzprogramm (EKSP) 2030 der Stadt Leipzig ein essenzieller Beitrag sein, um lokal vor Ort der bestehenden globalen Herausforderung und zu begegnen. Allerdings ist die Leipziger Klimapolitik stark von den übergeordneten Ebenen des Bundes und des Landes Sachsen abhängig.“

Die so entstandenen Änderungsanträge 9 und 10 werden nicht die einzigen sein, die in der Debatte zum EKSP im Stadtrat zum Aufruf kommen. Mindestens vier Fraktionen haben auch noch eigene, zusätzliche Änderungsanträge geschrieben – neben Linken, Grünen und SPD auch die CDU-Fraktion.

Die Debatte dürfte spannend werden.

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