Es sind Bilder wie diese, die derzeit Sachsens Außenwahrnehmung prägen. Und die einschüchtern sollen. Zuerst Staatsministerin Petra Köpping, aber auch andere, die in verantwortlichen Positionen den Freistaat durch die Coronakrise lenken und Entscheidungen treffen müssen. Am Abend des 3. Dezember 2021 taucht eine Gruppe überwiegend männlicher Sachsen vor dem Grimmaer Privathaus Köppings auf, um bis zum Eintreffen der Polizei mit Fackeln, Plakaten und Rasseln in der Hand unter anderem „Frieden, Freiheit, keine Diktatur“ zu skandieren. Aufgewiegelt, gelenkt und motiviert wurden sie auch von knallharten Rechtsextremisten.

Als Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer am 2. Dezember 2021 bei Maybritt Illner im ZDF auf den zukünftigen FDP-Justizminister Marco Buschmann losgeht, will er einerseits vom desaströsen Eindruck seines Innenministeriums ablenken und andererseits einen richtigen Punkt setzen (zum Video ZDF-Mediathek).Er verlangte nicht weniger vom zukünftigen Justizminister der Ampelkoalition, als die Verschärfung der Strafverfolgungsmöglichkeiten angesichts von „Telegram-Gruppen, diese rechtsextremen Gruppen von 30, 40, 80.000 Menschen, die sich zusammengetan haben, um bösartigste Propaganda, aber auch Hass, Hetze und wirklich zersetzende Dinge proklamieren. Wir müssen da etwas tun. Das passt nicht in unsere sonstige Medienregulierung, diese Menschen verstecken sich dahinter, dass es ein Nachrichtendienst ist und kein soziales Netzwerk“, so Kretschmer.

Buschmann, selbst unter dem Druck falscher „Freedomday“-Erwartungen seiner FDP noch im Oktober 2021 stehend, warf daraufhin Kretschmer indirekt vor, das Impfen nicht zügig genug zum Beispiel mittels großer Impfzentren in Sachsen voranzubringen. Und wischte den Punkt mehr oder minder als „auch ein Problem“ beiseite.

Ministerpräsident Michael Kretschmer im Gespräch Jessica Heller in der "Museumsscheune" vor Beginn der Wahlkampfveranstaltung am 2. September 2021 in Liebertwolkwitz. Foto: LZ
Ministerpräsident Michael Kretschmer im Gespräch mit Jessica Heller in der „Museumsscheune“ vor Beginn der Wahlkampfveranstaltung am 2. September 2021 in Liebertwolkwitz. Foto: LZ

Kennern der sächsischen Verhältnisse hingegen war sofort klar, welche „Gruppe“ Kretschmer meinte, als er auf einmal fast wie ein Linken-Politiker klang. Die „Freien Sachsen“, eine Anfang 2021 entstandene rechtsextreme Kleinstpartei, bestehend aus Querdenker-, NPD- und „Pro Chemnitz“-Kreisen, ist beim Messengerdienst „Telegram“ mit jenen rund 80.000 (mittlerweile 91.000) folgenden Usern zum maßgeblichen Treiber des vorgeblichen „Volksaufstand“ in Sachsen geworden.

Für das Demonstrationsgeschehen der vergangenen Tage spielt dieser Nachrichtenkanal die entscheidende Rolle der Vernetzung verschiedener Städte, aber auch der begleitenden Propaganda während der Demonstrationen mittels Videoeinspielungen, Aufrufen und Hinweisen auf kommende Aktivitäten.

Vor Ort taucht dafür unter anderem als „Berichterstatter“ der Ex-Dortmunder Neonazi Michael Brück (Die Rechte) auf, um, wie zum Beispiel am 2. September 2021, Handy-Videos für die „Freien Sachsen“ zu filmen. Die „Updates“ im Kanal zeigen einen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem 200 Personen starken Pöbelchor, welcher versuchte, eine CDU-Wahlkampfveranstaltung in Liebertwolkwitz zu stören und dem Telegram-Kanal der „Freien Sachsen“.

Auch an diesem Abend konnten sich neben Brück andere rechte YouTuber unbehelligt durch die Menge bewegen, während LZ-Journalisten durch eine vier- bis fünfköpfige Schlägertruppe der „Bürgerbewegung Leipzig“ bedroht wurden.

Tägliche Hetze und Falschnachrichten

Auf dem Messengerkanal vergeht auch außerhalb von „Demonstrationsbegleitungen“ bei Anlässen, wo sonst kaum noch die richtige Presse aufgrund massiver Bedrohungen berichten kann, kein Tag, keine Stunde, in der nicht seit dem 8. Januar 2021 gegen Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer, die Polizei oder andere Menschen in Verantwortung gehetzt, gepöbelt und zum Umsturz aufgerufen wird.

Keine der seither getroffenen Coronamaßnahmen wird nur im Ansatz gutgeheißen, alles wird als Versuche des Staates gedeutet, eine Diktatur zu errichten. In einem Post feiert man hier hohe Inzidenzen, in anderen wird behauptet, die Corona-Neuinfektionen seien „herbeigetestet“ oder der Ministerpräsident Sachsens sei geisteskrank.

Dass den Neonazis dabei letztlich egal ist, womit sie die Wut in der Bevölkerung schüren, zeigen die langjährigen Aktivitäten unter anderem gegen Ausländer mindestens zweier Führungskräfte der „Freien Sachsen“. So beinhalten die Daten des Telegram-Kanals unzählige Videos mit Reden der Führungsspitze der „Freien Sachsen“, darunter des Chemnitzer Rechtsextremisten Martin Kohlmann („Pro Chemnitz“), des Bad Schlemaer NPD-Funktionärs Stefan Hartung oder des „Querdenken“-Busunternehmers Thomas Kaaden.

Wenig verwunderlich steht auch die Polizei im Fokus der Rechtsextremisten. Zwar hoffen die rechten Kräfte regelmäßig, dass die Beamten aufgrund des Dauerdrucks auf den Straßen „zusammenbrechen“ und sich der „Bewegung“ anschließen. Doch jeder noch so kleine Polizeieinsatz gegen die vielzähligen Kleinstdemos in Sachsen wird als Beweis gewertet, dass es sich hier um „Söldner“ handelt, welche gegen „das Volk“ vorgehen würden.

Auch am 6. November 2021 mischten Rextsextreme in Leipzig mit. Das Zoel: durch möglichst viele Versammlungen die Polizeikräfte zu überlasten. Foto: LZ
Auch am 6. November 2021 mischten Rechtsextreme in Leipzig mit. Das Ziel: durch möglichst viele Versammlungen die Polizeikräfte zu überlasten. Foto: LZ

Die neueste Nachricht lautet zum Beispiel unter der an die Gestapo des NS-Regimes erinnernden Titulierung sächsischer Polizeikräfte als „Corona-Staats-Polizei“ (CoStaPo): „CoStaPo kesselt Spaziergänger in Kamenz rechtswidrig ein! Offenbar gab es vom sächsischen Despoten Michael Kretschmer heute die Order, mit Härte gegen spazierende Bürger vorzugehen. In Leipzig, Freiberg, Glauchau und Kamenz kam es zu Schikanen.“

Und unverhohlen wird immer wieder darauf angespielt, dass die Versammlungen, welche wenig überraschend überwiegend in den Hochinzidenz- und AfD-Wahlgebieten Sachsens ihre Schwerpunkte haben, zur Überdehnung der Polizeikräfte beitragen sollen, ja die Anzahl der meist von 20–50 Menschen durchgeführten „Spaziergänge“ den Staat zum Aufgeben bei der Durchsetzung jeglicher Schutzmaßnahmen zwingen soll.

So heißt es weiter: „Woher will Kretschmer genug Söldner nehmen, um in mehr als 80 Städten den Bürgerprotest, der zuletzt über 10.000 Sachsen auf die Straße brachte, zu kesseln? Holt Kretschmer das Militär? Wird das Regime schießen? Oder kommt Innenminister Wöller am Ende doch wieder zur Vernunft und lässt friedliche Spaziergänge in Ruhe?!“

Selbst jener Innenminister, der entgegen jeder Realität noch vor wenigen Tagen behauptete, es handle sich bei den „Spaziergängen“ ja nicht um Versammlungen im eigentlichen Sinne, gilt hier dennoch als Gegner des „Volksaufstandes“, welcher mit der Zahl 10.000 deutlich zu hoch angesetzt ist.

Ein Freistaat schaut zu

Angesichts der eher laxen Haltung der vergangenen Tage und der entsprechenden Statements von Innenminister Roland Wöller pure Propaganda. Wo – wenn denn die aktuellen Versammlungsregelungen gültig sein sollen – Bußgelder oder mehr fällig gewesen wären, begleiteten Polizeikräfte beispielsweise wochenlang in Zwönitz, Freiberg und auch am 29. November 2021 in Chemnitz rechtsradikale „Spaziergänger“ quasi masken-, auflagen- und belästigungsfrei, während sie einen kleinen, 27 Menschen umfassenden, Gegenprotest einkesselten und mit Personenkontrollen überzogen.

Lassende Haltung gegenüber Rechtsextremisten: Sachsens Innenminister Dr. Roland Wöller (CDU). Foto: Campaigners Network
Lassende Haltung gegenüber Rechtsextremisten: Sachsens Innenminister Dr. Roland Wöller (CDU). Foto: Campaigners Network

Unter dem Beifall und „1, 2, 3 – Super Polizei“-Rufen des rechten Aufmarsches nahmen die Beamten also den Gegenprotest in Gewahrsam, statt den bis zu 400 Teilnehmer starken Demozug aufzuhalten und zu überprüfen. Dieser musste nicht einmal, wie auch außerhalb von Coronazeiten üblich, ein/e Versammlungsleiter/-in benennen.

Auch in Leipzig schaute die Polizei an diesem Tag seelenruhig zu, wie „Freie Sachsen“ und die „Bewegung Leipzig“ eine Propagandanachricht aus Kerzen am Neuen Rathaus aufbauten, bis diese vom Verwaltungsbürgermeister Ulrich Hörning (SPD) abgeräumt wurde. Hier nahm die angeblich so drastisch gegen „das Volk“ vorgehende Polizei sogar einen Minderjährigen in Gewahrsam, der sich aufmachte, die Kerzen wieder auszublasen, nachdem die rund 25 Versammlungsteilnehmer anonym kamen und wieder gegangen waren.

Häufig unterließen es die Beamten also bislang, das aktuell geltende Corona-Versammlungsrecht, welches offenbar juristisch nicht wirklich durchsetzbar, derzeit nicht mehr als zehn Personen eine Versammlung gestatten soll, vor Ort durchzusetzen und folgten gar wie auch ihr oberster Dienstherr Roland Wöller dem rechten Narrativ, hier handele es sich um keine verabredeten Versammlungen.

Erst am gestrigen 3. Dezember 2021 schritten Beamte wirklich ein und verlangten wenigstens die Personalien von Teilnehmer/-innen eines rechten Auflaufs in Leipzig-Großzschocher.

Hier hatten sich – live gefilmt und übertragen vom ehemaligen „Pro Chemnitz“-Stadtratskandidaten Michael Wittwer – eine Gruppe aus dem Umfeld der „Bürgerbewegung Leipzig“ und der „Freien Sachsen“ versammelt, um sich mit der Leipziger Friseurin zu solidarisieren, welcher am 1. Dezember 2021 durch das Ordnungsamt das Ladengeschäft geschlossen wurde.

Der Grund dafür: Sie hatte offensiv damit geworben, die beim Friseur geltende 2G-Regel zu missachten, was nun zu einer drastischen, gewerblichen Strafzahlung führen könnte. Nachdem die Gruppe an einem ihrer Geschäfte im Leipziger Westen Kerzen aufgestellt hatten, starteten sie zu einem „Spaziergang“, wurde gestoppt und die Ausweise zwecks eventueller Bußgelder verlangt.

Eine neue Erfahrung auch für die schon länger prominente Betreiberin der lokalen Friseur-Kette. Im April 2019 hatte sich die damals einem AfD-Wirtschaftsverband nahestehende Frau bereits in der LVZ abfällig über Hartz IV-Empfänger geäußert und behauptet, der angeblich bei ihr bestehende Fachkräftemangel käme durch die Faulheit der Menschen. Migranten einzustellen lehnte sie ab, die brauche man nicht.

Zugespitzt und von der LVZ sehenden Auges bis heute so unverändert publiziert, die Parole „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ in bürgerlichem Sprachgebrauch.

Laut Livestream ihres offensichtlichen Bekannten Michael Wittwer teilte sie dann gestern den anwesenden Polizeibeamten mit, sie müssten ihren „Amtsausweis“, also nicht den gültigen Dienstausweis vorzeigen. Eine neben ihr stehende Frau assistierte, die Beamten seien nämlich nur Angestellte der BRD-GmbH – typische Narrative aus der Reichsbürgerszene. Nach diesem ist der gesamte deutsche Staat eine Firma. Diese auch „Selbstverwalter“ genannte Splitterszene ist ebenfalls für ihre rechtsextreme Haltung, die Nähe zu Preppern und dem Hang zur illegalen Bewaffnung bekannt.

Mit den Worten „neuerlicher CoStaPo-Überfall auf Leipziger Unternehmerin / Protestaufruf für heute um 18 Uhr vor dem Geschäft!“ hatten die „Freien Sachsen“ natürlich auch zu dieser Demonstration aufgerufen.

Mit Fackeln vorm Haus

Das vorläufige Ergebnis der monatelang vorangetriebenen Radikalisierung der Rechtsextremisten bei den „Freien Sachsen“ und der wohlwollenden Haltung bei Sachsens Innenminister Roland Wöller, der erst gestern mitteilen ließ, dass aktuell das größte Problem im „Linksterrorismus“ in Leipzig liege, traf am Abend des 3. Dezember 2021 nun seine Kabinettskollegin und Sozialministerin Petra Köpping (SPD) an ihrem privaten Wohnsitz.

Vor ihrem Haus in Grimma nahe Leipzig zogen rund 30 Personen mit Fackeln, Rasseln und Trillerpfeifen auf, um so eine der NS-Zeit und dem Mittelalter ähnliche Drohkulisse zu schaffen. Was im mindesten Maß als menschlich höchst unanständig gelten sollte, könnte bei Licht besehen durchaus Landfriedensbruch sein und damit eine Straftat.

Videosequenzen im "Freie Sachsen"-Kanal von vor Ort, selbst hochgeladen und mit dem eigenen Logo versehen. Screen Telegram Freie Sachsen
Videosequenzen im „Freie Sachsen“-Kanal von vor Ort, selbst hochgeladen und mit dem eigenen Logo versehen. Screen Telegram Freie Sachsen

Die hinzukommende Polizei sah das vorerst anders und ließ mitteilen, man habe „in #Grimma 30 Personen laut rufend mit Trillerpfeifen, Fackeln und Plakaten festgestellt. Beim Eintreffen unserer Kräfte wollten sich die Personen entfernen. Es wurden 15 Fahrzeuge kontrolliert, 25 Identitäten festgestellt und Ordnungswidrigkeitenanzeigen gefertigt.“

Ebenfalls wieder involviert: die „Freien Sachsen“, auf deren Telegram-Kanal pünktlich um 20:19 Uhr ein Video von der Aktion erschien. Offenbar wissend um die hohe Nähe zur Aktion selbst mit dem Nachsatz: „Anmerkung: Die FREIEN SACHSEN sind nicht unmittelbar für die Protestaktion verantwortlich, berichten aber natürlich als Ausdruck des sächsischen Bürgerprotestes darüber.“

Man weiß nun nicht so ganz, ob man sich freuen soll, dass neuerdings solche Fackel- und Krawall-Aktionen nicht mehr als wohlwollend zu begleitender „Spaziergang“, sondern als unzulässige Versammlung in Corona-Zeiten mit entsprechenden Bußgeldern gewertet werden.

Die Angstwirkung, die ein solcher Aufzug auf das Opfer ausüben soll, scheint da irgendwie nicht eingepreist.

Und nach LZ-Informationen sammeln Rechtsextremisten in jenem Netzwerk namens Telegram längst weitere Adressen von Menschen, die in Sachsen Verantwortung für das Krisenmanagement tragen. Es könnte sich angesichts der voranschreitenden Radikalisierung in der Szene nur noch um Tage handeln, bis es wieder brennt in Sachsen.

Nur sind es dieses Mal keine Flüchtlingsheime.

Sozialministerin Petra Köpping (SPD). Foto: Pawel Sosnowski

Während heute die Solidaritätsbekundungen für Petra Köpping aus allen demokratischen Parteien in der Redaktion eintrudeln, ist die nächste Aktion, welche die „Freien Sachsen“ gerade propagandistisch aufzuladen versuchen, ein Besuch der eng mit den „Freien Sachsen“ kooperierenden „Querdenken Dresden“-Bewegung am Montag, den 6. Dezember, im sächsischen Landtag.

Dann will man sich angeblich friedlich „die Landtagssitzung, in der Kretschmer die „epidemische Notlage“ ausrufen und den neuen Lockdown zementieren will, als Besucher“ anschauen.

Interessanter Umschreibungsversuch für die angekündigte Anwesenheit von Neonazis im höchsten Parlament Sachsens. Und wie gewohnt soll auch diese Aktion die Polizei Sachsens an die Grenze des Leistbaren treiben.

Hinweis der Redaktion in eigener Sache

Seit der „Coronakrise“ haben wir unser Archiv für alle Leser geöffnet. Es gibt also seither auch für Nichtabonnenten alle Artikel der letzten Jahre auf L-IZ.de zu entdecken. Über die tagesaktuellen Berichte hinaus ganz ohne Paywall.

Unterstützen Sie lokalen/regionalen Journalismus und so unsere tägliche Arbeit vor Ort in Leipzig. Mit dem Abschluss eines Freikäufer-Abonnements (zur Abonnentenseite) sichern Sie den täglichen, frei verfügbaren Zugang zu wichtigen Informationen in Leipzig und unsere Arbeit für Sie.

Vielen Dank dafür. 

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Michael Freitag über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar